Das Märchen von der fairen Medizin

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Zweiklassenmedizin in Österreich: Während die Bundesregierung von einem gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung spricht, werben Privatversicherungen längst offen mit schnellerem Zugang zu Operationsterminen.

"OP-Termine sofort!“ Dieses Plakat, mit dem die Donau-Versicherung seit einigen Wochen für private Krankenpolizzen wirbt, entlarvt einen der größten Mythen des heimischen Gesundheitssystems: dass jedermann unabhängig von seinem Vermögen gleichen Zugang zu medizinischen Leistungen hätte.

Tatsächlich sind Fälle wie jener von Werner S. an der Tagesordnung: Der ÖBB-Verschubmitarbeiter wachte eines Morgens mit Schmerzen im rechten Arm und tauben Fingern auf. Bei einem Kassenarzt erklärte man ihm, dass er eine Therapie frühestens drei Wochen später beginnen könnte – Zeit, die S. im Krankenstand hätte bleiben müssen.

Deswegen und aufgrund seiner Schmerzen beschloss der heute 55-Jährige, einen Privatarzt zu konsultieren. Der arrangierte noch am selben Tag eine Magnetresonanzuntersuchung und startete sofort mit einer Therapie. Zwei Wochen später, also noch bevor der Kassenarzt überhaupt mit der Behandlung begonnen hätte, war S. wieder gesund – für Kosten von 200 Euro pro Arzttermin. „Ich habe für mich den Schluss gezogen, dass Gesundheit käuflich ist“, sagt S. im Gespräch mit der „Presse“.

Seine Geschichte ist kein Einzelfall, weder im Bereich der niedergelassenen noch der Spitalsmedizin: Einer Erhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS) und der Statistik Austria zufolge bevorzugt das heimische Gesundheitssystem massiv jene Patienten, die selber Geld für ihre Heilung in die Hand nehmen. Während ein normalversicherter Patient im Schnitt 97 Tage auf eine Knieprothese wartet, kommt ein Privatversicherungsnehmer schon nach 28 Tagen an die Reihe. Das IHS begründet diesen Unterschied damit, dass die Sonderklassebetten, die von den privaten Versicherungen finanziert werden, schneller verfügbar sind als jene der allgemeinen Klasse.

Für Helga Krismer, Gesundheitssprecherin der niederösterreichischen Grünen, ist das ein untragbarer Zustand: „Die Zweiklassenmedizin ist eine Erkrankung des ganzen Gesundheitssystems. Es gibt Tausende, die sich keine Privatversicherung leisten können und daher nicht die beste Versorgung bekommen.“ Sie werde in den kommenden Wochen Einzelfälle öffentlich machen, die durch private Finanzierung ihrer Behandlung besser behandelt wurden als „Normalpatienten“, sagt Krismer.

20 Prozent von Privaten bezahlt

Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) widerspricht dieser Darstellung: „In Österreich gilt für alle Menschen das gleiche Leistungsrecht, ob sie eine Zusatzversicherung haben oder nicht. Von einer Zweiklassenmedizin kann daher nicht die Rede sein.“ Eine Sicht, die viele Patienten nicht teilen: Nach den langen Wartezeiten ist die „Zweiklassenmedizin“ der größte Kritikpunkt der Österreicher an ihrem Gesundheitssystem (siehe Grafik unten).

Ein System, das rund zu einem Fünftel aus privaten Geldern finanziert wird: 5,7 Milliarden Euro macht einer OECD-Studie aus dem Jahr 2008 zufolge der Anteil privater Haushalte und Versicherungen an den Gesundheitskosten in Österreich aus – mehr als doppelt so viel wie noch vor 20 Jahren. Im gleichen Zeitraum hat sich die Summe, die der Staat für Gesundheit aufwendet, übrigens von 7,8 auf 21,8 Milliarden Euro fast verdreifacht.

Ausgaben, die zum Teil systembedingt sind: In Österreich gibt es mit neun Landes- und sechs Betriebskrankenkassen sowie vier Berufsanstalten 19 öffentliche Versicherungsträger – alle mit unterschiedlichen Leistungskatalogen, die schon für sich ein Mehrklassensystem im Gesundheitswesen darstellen: Wer in Vorarlberg für orthopädische Schuhe einen Selbstbehalt von nur 36,3 Euro zahlt, muss im Bereich der niederösterreichischen GKK für dieselbe Leistung 72,7 Euro ausgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2010)

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