Inklusion

Wohnformen: Eine Absage an das soziale Ghetto

Baustelle Wolfganggasse
Baustelle WolfganggassePID/VOTAVA
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Kein größeres Bauvorhaben kommt heute ohne betreute Wohneinheiten aus. Welche Überlegungen dahinterstecken, erläutern die Köpfe hinter einigen aktuellen Projekten.

Ob in der Stadt oder auf dem Land: Wohnformen, die betreutes und betreubares Wohnen inkludieren, gehören inzwischen zum Must-have eines jeden Stadtteils oder einer innovativen Gemeinde. „Im ländlichen Gebiet möchten die Menschen dort bleiben, wo sie seit Jahrzehnten ihre sozialen Kontakte pflegen“, ist Walter Eichinger, Geschäftsführer des Projektentwicklers Silver Living, überzeugt. Philosophie des Unternehmens sei es daher, überschaubare Projekte in Gemeinden und Landeshauptstädten umzusetzen. „Oft sind es nur wenige Wohneinheiten, die wir durch Sanierung von Altbestand in eine neue Nutzung überführen. Dadurch kommen Landesförderungen zum Tragen, von denen durch den gedeckelten Mietzins auch die Mieter profitieren.“

Klein, aber fein

Im Stadthaus Graz Griesplatz entstand dementsprechend ein Generationen-Wohnprojekt von Silver Living mit 18 förderbaren Mietwohnungen, zehn davon in der Größe von 30 bis 70 m2 stehen Senioren für betreutes Wohnen zur Verfügung. Betreut werden sie über das Österreichische Rote Kreuz Steiermark.

Damit eine simple Garçonnière nicht einfach zur betreuten Wohneinheit umfunktioniert wird, führte man im Jahr 2012 eine spezielle Ö-Norm „Betreutes Wohnen“ als europaweit geltenden Qualitätsmaßstab ein. „Inzwischen ist diese Norm zu einer Art Fibel für Interessenten geworden, um zu erfahren, was in dieser Wohnform inkludiert und welcher Mindeststandard in baulicher Hinsicht zu erwarten ist“, informiert Eichinger. Barrierefreie Zugänge, ein Lift und die Vermeidung von baulichen Stolperfallen sowie konkret ausformulierte Betreuungsleistungen zählen dazu.

Mitten im Trubel des Lebens mit Rückzugsmöglichkeit, wann immer es einem beliebt, könnte das Motto für die Rossmarkthöfe in St. Pölten des Projektentwicklers Signa sein. Auf einem 9000 m2 großen Areal setzt man bei dieser Quartierentwicklung auf gemischte Nutzung: Handel, Hotels, Büros, Gastronomie und verschiedene Wohnformen für alle Generationen. „Der Schlüssel zum Erfolg für alle Beteiligten liegt in der heterogenen Zusammensetzung von Nutzung und Menschen. Das reicht von der Starterwohnung für Singles bis hin zu Eigentumswohnungen für alle Generationen“, erläutert Ernst Eichinger, Unternehmenssprecher von Signa. 45 Einheiten seien daher auch speziell für betreutes Wohnen vorgesehen.

Im zwölften Wiener Gemeindebezirk entsteht neben der ehemaligen Remise auf einer Fläche von 31.000 m2 der neue Stadtteil Wolfganggasse. „Der Trend geht weg von früheren Ghetto-Situationen hin zur Durchmischung auf baulicher und sozialer Ebene. Die Baustruktur soll sozial unterstützend wirken“, sagt Rainer Zeitlinger, Projektleiter IBA Wien 2022. Daher sind neben den rund 850 geförderten Wohnungen auch 181 Wohneinheiten mit 214 Pflegeplätzen der Öjab vorgesehen. Diese sollen Menschen mit den unterschiedlichsten Wohnbedürfnissen ein Zuhause bieten. „Die Entwicklung eines solchen Großprojekts, vom Wettbewerb bis zur Realisierung, nimmt fünf bis sechs Jahre in Anspruch. Wobei das Konzept des betreubaren Wohnens die Wohnungsgrundrisse und Einrichtungen mitbestimmt“, betont Zeitlinger. In Bezug auf ältere Menschen denke man hierbei auch an die Infrastruktur, etwa im nahe gelegenen Park. „Auf dem Weg zu den umliegenden Angeboten muss an ausreichend Sitzmöglichkeiten, WC-Anlagen und das Gefühl für Sicherheit gedacht werden“, beschreibt Zeitlinger die Parameter eines inklusiven und nachhaltigen Stadtteils.

Einbezug der Nachbarschaft

Hinsichtlich der Ressourcenaktivierung der Umgebung werden bei diesem Projekt bestehende Einrichtungen wie das Lehrlings- und das Seniorenheim integriert. Letzteres erfährt eine Umstrukturierung ganz im Sinn des betreuten Wohnens, indem ein Friseur und eine Kantine ihre Leistungen für Bewohner und Anrainer des Bezirks anbieten. Das Gebäude der alten Remise bleibt und soll sich zum kulturellen Hotspot über die Bezirksgrenzen hinaus etablieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2021)

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