Frankreich

Illegale Überfahrten: Migrations-Gipfel in Calais

Diese Aufnahme zeigt Migranten, die an der französischen Küste ein Gummiboot zum Wasser schleppen, um damit nach England zu fahren. Die Polizei schaut zu.
Diese Aufnahme zeigt Migranten, die an der französischen Küste ein Gummiboot zum Wasser schleppen, um damit nach England zu fahren. Die Polizei schaut zu. REUTERS
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Angesichts der explodierenden Zahl illegaler Überfahrten von Frankreich nach England berieten EU-Vertreter. Großbritannien – das Zielland – durfte indes nicht teilnehmen.

In der französischen Hafenstadt Calais am Ärmelkanal kamen am Sonntag hohe Vertreter Frankreichs, Belgiens, der Niederlande, Deutschlands und der EU-Kommission zusammen, um über die Migrationskrise in der Wasserstraße zwischen Frankreich und England zu beraten. Konkret ging es darum, wie man die polizeiliche, juristische und humanitäre Zusammenarbeit verbessern und härter gegen Schlepper vorgehen kann.

Zu dem Treffen hatte Frankreich eingeladen, nachdem am Mittwoch mindestens 27 Migranten in der Wasserstraße ertrunken waren. Just Großbritannien, das Zielland, war indes nicht vertreten: Innenministerin Priti Patel wurde von ihrem französischen Amtskollegen, Gerald Darmanin, demonstrativ ausgeladen, weil sich beide Staaten bezüglich der illegalen Migration in den Haaren liegen.

Schauen die Franzosen weg?

Konkret wirft London Paris vor, zu wenig gegen Schlepper und die Abfahrten von Migranten in oft auffallend großen Schlauchbooten über den Kanal, der an der schmalsten Stelle etwa 34 Kilometer misst, zu tun. Tatsächlich gibt es viele Bilder, die französische Polizisten zeigen, wie sie dem Ablegen solcher Boote untätig zusehen. Allerdings sind sie im Prinzip auch nicht verpflichtet, Ausreisen zu unterbinden. Viele Kommentatoren sagen freilich, dass Frankreich angesichts der eigenen Migrationsprobleme im Inland eher mäßig geneigt sei, den Weiterzug solcher Menschen zu blockieren.

Bei dem Treffen in Calais nahmen primär EU-Innenkommissarin Ylva Johansson (Schweden), Europol-Chefin Catherine De Bolle (Belgien), Frankreichs Innenminister Darmanin sowie entsprechende Vertreter aus Deutschland, Belgien und Holland teil.

Explosion der Überfahrten

Die illegalen Überfahrten über den Ärmelkanal abseits etwa von Fähren, die es vor 2019 praktisch nicht gegeben hatte, sind heuer enorm explodiert: Noch im Oktober 2020 wurden knapp 2000 Personen registriert, in den ersten Monaten heuer jeweils nur wenige Hundert, aber im Juli dann schon mehr als 2100, im Oktober mehr als 4500 und bisher im November schon über 6000.

Weniger als die Hälfte der Migranten werden, sagen jedenfalls die Briten, noch von der französischen Polizei und Küstenwache abgefangen. Diejenigen, die in Großbritannien ankommen, wobei sie zumeist vom Küstenschutz aus ihren Booten geholt worden sind, werden nur in den seltensten Fällen wieder zurückgeschoben. Das liegt an rechtlichen Hindernissen für die britischen Behörden, Überforderung und dem Zögern Frankreichs, die Leute zurückzunehmen.

Es drohen schlimmere Szenen

Die britische Innenministerin Patel mahnte nach ihrer Ausladung von dem Treffen in Calais zur Zusammenarbeit. Großbritannien könne die Sache nicht alleine schultern, „wir in Europa müssen uns alle mehr anstrengen, Verantwortung übernehmen und in der Krise zusammenarbeiten“. Andernfalls drohten „noch schlimmere Szenen im eiskalten Wasser“ in den Wintermonaten.

In Großbritannien werden mehrere Wege erwogen, um dem Ansturm auf die Küste Her rzu werden. Die meisten davon sind rechtlich und/oder moralisch heikel, wenngleich Umfragen zufolge ein größerer Teil der Briten die Migrationswelle ablehnend sieht.

London bietet etwa den Franzosen an, eigene Wachkräfte an deren Küste zu stationieren, was Paris als Angriff auf seine Souveränität sieht. Es gibt die Idee, die gemeinsamen Patrouillen im Meer zu verstärken, aber auch hier stellt sich die Frage, ob die Franzosen die Migrantenboote unbedingt zurückbeordern wollen. Manche Stimmen sind für eine Übernahme des rigiden australischen Modells, wonach Migrantenboote ausnahmslos und mit Gealt abgedrängt und zur Not nach (meist) Indonesien eskortiert werden. Dadurch sank der Zahl der Bootsmigranten von dort anno 2013 von etwa 20,000 auf weniger als 200 – und letztlich auf fast Null.

NGOs forderten vor dem Gipfel in Calais unterdessen Maßnahmen zur Schaffung legaler Migrationswege: „Wenn die Regierung Menschenschmuggler (für riskante Fluchtwege) verantwortlich macht, verschleiert sie damit ihre eigene Verantwortung“, sagte etwa der Vorsitzende der französischen Organisation L'Auberge des migrants, Francois Guennoc. (ag./wg)

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