Kosovo

Ausweg aus der Armutsfalle

Remzie Gashi mit den Söhnen Ergjent und Sedat auf den Treppen zu ihrer kleinen Wohnung.
Remzie Gashi mit den Söhnen Ergjent und Sedat auf den Treppen zu ihrer kleinen Wohnung. (c) Erich Kocina
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Kinder, die zum Betteln geschickt werden. Mädchen, die früh heiraten müssen. Die Hilfsorganisation Concordia will Schicksale wie diese verhindern.

Prizren. Einen guten Tag, sagt Remzie Gashi, habe sie schon lang nicht mehr gehabt. Seit ihrer Hochzeit sei alles bergab gegangen. Sie lebt nun mit ihrem Mann und drei Kindern in einer winzigen Wohnung in Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovo. Über ein paar behelfsmäßige Holzbretter geht es hinauf – oben wartet ein schmaler Gang mit Küche, der in einen kleinen Raum zum Wohnen übergeht. Hier verbringt sie ihren Tag, hier schläft die Familie. Strom zapfen sie von einem Nachbarn ab, weil ihnen die reguläre Elektrizität abgedreht wurde.

Die 34-Jährige gehört zur Community, die im Kosovo unter RAE zusammengefasst wird – Roma-Aschkali-Ägypter, ein Sammelbegriff für drei Volksgruppen, die ausschließlich im Kosovo verbreitet sind. Im mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Land sind die RAE mit rund zwei Prozent der Bevölkerung nur eine Minderheit. Aber sie gehören auch zu den ärmsten Bewohnern des ökonomisch ohnehin nicht gerade verwöhnten Landes – zu rund 90 Prozent sind ihre Angehörigen arbeitslos.

Remzies Mann hat zwar verschiedene Jobs als Taglöhner, doch das reicht nicht für viel. Gegessen hat sie heute noch nichts – so wie auch die Kinder. Immerhin, ein paar Scheite Holz hat Remzies Schwester vorbeigebracht, damit die Wohnung etwas geheizt werden kann. Geschlafen wird im Wohnraum – auf einer Couch oder am Boden. Nur Sedat, der 15-jährige Sohn, kauert sich mit einer eigenen Matratze in den schmalen Gang. Die Eltern haben das älteste Kind der Familie zuletzt aus der Schule genommen. Er muss in einer Waschstraße arbeiten, um auch etwas Geld beizusteuern.

Die Kinder vom Betteln abhalten

Geld, das die Familie vor allem für Tochter Melek braucht. Die 5-Jährige ist Epileptikerin und benötigt regelmäßig Medikamente. Sie verschlingen jeden Monat rund 150 Euro. Da die Enge der Wohnung den Zustand des Mädchens verschlechtert, muss sie tagsüber in einen Kindergarten geschickt werden, der auch extra bezahlt werden muss. Es ist ein Zustand, der auch Mutter Remzie krank macht – sie fühlt sich machtlos und leidet an Depressionen.

Eine Packung Makkaroni, die sie von einer Concordia-Mitarbeiterin bekommen hat, ist eine erste kleine Hilfe. In den nächsten Wochen wird es weitere Lebensmittel von der Hilfsorganisation mit Sitz in Österreich geben, die seit einem Jahr in Prizren ein Sozialzentrum betreibt. Der nächste große Schritt wird sein, dass Concordia die Tochter im Tranzit Centre betreut. Der Schwerpunkt dieser Einrichtung liegt darauf, dass Kinder aus den umliegenden RAE-Familien tagsüber betreut werden – es gibt eine warme Mahlzeit, Hilfe bei Schulaufgaben und nicht zuletzt einen Schwerpunkt auf musikalische Ausbildung.

Ein wichtiger Effekt davon: Die Kinder werden von der Straße ferngehalten. Dort wären sie nämlich, weil sie oft von ihren Eltern zum Betteln geschickt werden. So haben sie eine Umgebung, in der sie zumindest für einige Stunden frei von ökonomischen Nöten betreut werden. „Sobald wir einen Kleintransporter und eine Betreuerin haben, wollen wir auch Melek, das Mädchen mit Epilepsie, tagsüber herholen“, sagt Bardyl Metkamberi, der die Einrichtung leitet. „Dann kümmern wir uns auch um die Medikamente. Und können die Eltern entlasten.“

Entlastung, das ist etwas, für das Organisationen wie Concordia im Kosovo einspringen müssen. Denn der Staat lässt allzu oft aus. Eine Krankenversicherung gibt es nicht. Hat eine Familie ein Kind, das älter als fünf Jahre ist, gibt es auch keine staatlichen Beihilfen mehr. Die Folgen sind bettelnde Kinder auf der Straße – aber auch, dass Mädchen früh verheiratet werden. Denn wenn ein Kind den Haushalt verlässt, muss man sich nicht mehr um dessen Ernährung kümmern. Vor allem in der RAE-Community kommt dieses Phänomen häufiger vor.

So ist es den Mitarbeitern des Tranzit Centre besonders wichtig, jüngeren Frauen den Rücken zu stärken. Etwa Lejla – die 16-Jährige kommt aus einer Familie mit insgesamt sechs Kindern. Es droht die Gefahr, dass ihre Eltern sich nach einem Ehemann für sie umschauen.

Früh heiraten, dann daheimbleiben

„Es ist kein großer Prozentsatz, der jung verheiratet wird“, sagt Habit Hajredini, Direktor der Abteilung Good Governance in der Regierung des Kosovo. Der Regierungsvertreter widmet sich den Minderheiten des Landes schon seit Jahren. Man habe auch schon viel erreicht, erzählt er. Und spricht davon, welche Informationskampagnen man schon gestartet habe und dass man gerade an der Umsetzung eines Gesetzes zum Schutz der Kinder arbeite. Doch auf der anderen Seite von dem, was er erzählt, steht die Realität, wie sie die Concordia-Mitarbeiter in ihrer Arbeit immer wieder erleben.

"Die Presse" hilft

„Es ist hier noch immer Tradition, dass Frauen zu Hause bleiben und Männer arbeiten“, sagt Bardyl Metkamberi. Das ändere sich zwar, allerdings nur in Gesellschaftsschichten mit höherem Bildungsniveau. In der RAE-Community müsse man immer wieder erst die Eltern überzeugen. Das Schlüsselwort, meint der Concordia-Mitarbeiter, sei Bildung. Nur damit könne man verhindern, dass Mädchen früh heiraten müssen und dann mehr oder weniger gezwungen sind, daheimzubleiben. Durch viel Zureden hat er es nun geschafft, Lejlas Eltern dafür zu gewinnen, dass sie weiter zur Schule gehen darf. „Sie ist smart“, meint er. Als eines von wenigen Aschkali-Mädchen besucht sie eine weiterführende Schule. „Und sie ist jetzt auch ein Role Model für andere Mädchen. Sie kann zeigen, was alles möglich ist.“Das Sozialprojekt Concordia hilft Menschen in Rumänien, Bulgarien, der Republik Moldau und im Kosovo.

„Die Presse" hat ein Spendenkonto eingerichtet:

Concordia-Sozialprojekte
IBAN: AT28 3200 0000 1318 7893
BIC: RLNWATWW

Spenden an Concordia sind steuerlich absetzbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2021)

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