Online-Festival

Die Härte der Flucht, als Trickfilm

Zeichentrickdoku "Flee": Amin ist sicher in Dänemark angekommen - doch seine Fluchterfahrung nagt an ihm.
Zeichentrickdoku "Flee": Amin ist sicher in Dänemark angekommen - doch seine Fluchterfahrung nagt an ihm.(c) This Human World / Vice / Neon
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Das Wiener Filmevent „This Human World“ musste erneut ins Netz verlegt werden. Brisante Dokus wie „Flee“ lassen sich dafür nun bundesweit streamen.

Für Filmfestivals zum Thema Menschenrechte gilt die bittere Regel: Je mehr Zuspruch sie erfahren, je brisanter ihre Beiträge wirken, desto schlechter ist es meist um unsere Welt bestellt. Was für ihre Organisatoren freilich kein Grund ist, die Fahnen zu streichen: Nicht nur als schmerzlicher Seismograf der politischen Großwetterlage, sondern auch als Plattform für Bewusstseinsbildung im Hinblick auf globale Krisenherde, humanitäre Problemfelder und vernachlässigte Bruchstellen der Zivilgesellschaft spielt diese Festivalgattung längst eine wichtige Rolle in der transnationalen Kulturlandschaft.

Umso bedauerlicher, dass ihr heimischer Vertreter, das seit 2008 aktive „This Human World“, heuer zum zweiten Mal in Folge seine physische Ausgabe absagen musste. Mitte November hoffte man noch auf die Möglichkeit eines Hybrid-Events, mit einer Mischung aus Präsenzvorführungen und Online-Screenings. Doch der Lockdown zwang die Veranstalter erneut zum Umstieg auf eine reduzierte Internet-Edition.

Dafür ist diese nun bundesweit zugänglich: Die rund 41 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme des verkürzten Programms sind noch bis 12. Dezember über die Festivalhomepage als Stream verfügbar – per Einzelticket oder gebündelt über den Festivalpass. Die Filme sind an ihrem jeweiligen Starttag ab 18 Uhr für 48 Stunden abrufbar.

Was bedeutet, dass der ursprünglich für das Wiener Gartenbaukino bestimmte Eröffnungsfilm „Flee“ noch bis morgen Abend gesichtet werden kann. Durchaus empfehlenswert – nicht nur, weil es sich dabei um den diesjährigen Auslandsoscar-Kandidaten Dänemarks handelt. Jonas Poher Rasmussens Film bedient sich gekonnt der künstlerischen Freiheiten von Animation, um die Zumutungen von Fluchterfahrungen greifbar zu machen. Eine Technik, die spätestens seit dem Erfolg wegweisender Zeichentrickdokus wie Ari Folmans „Waltz with Bashir“ (2008) oder Anca Damians „Crulic: The Path to Beyond“ (2011) Schule gemacht hat.

Ringen um das Recht auf Ehrlichkeit

Wobei Rasmussens Ästhetik im Vergleich zu den expressionistischen Stilschnörkeln besagter Vorreiter am Boden der Tatsachen bleibt. In einer Optik, die an dokumentarische Comic-Romane erinnert, bebildert (und vertont) der Filmemacher die Erinnerungserzählung seines alten Schulfreundes Amin. Dieser flüchtet in den 1990er-Jahren vor den US-unterstützten Mudschaheddin aus Kabul. Zunächst nach Moskau mit Mutter und Geschwistern – der Vater wird schon in Afghanistan verhaftet – , später im Alleingang weiter nach Kopenhagen.

Aus Amins subjektiver, zeichnerisch ergänzter Perspektive nehmen wir am Leidensweg seiner Familie teil. Wobei sich vor allem das zehrende Gefühl totaler Ausgesetztheit vermittelt, das die Staatenlosen mit jeder Enttäuschung, mit jedem Rückschlag stärker verinnerlichen. Das post-sowjetische Russland kommt in „Flee“ nicht gut weg: Schlepper, die ihre „Kunden“ in Frachtcontainern sich selbst überlassen, seien vielleicht Psychopathen, meint Amin. Doch die schikanöse Moskauer Polizei sei für ihn noch schlimmer gewesen.

In Dänemark vertuscht Amin seine wahre Fluchtgeschichte – aus Angst, zurückgeschickt zu werden. Verstärkt wird die Entfremdung durch seine Homosexualität, die er auch vor seinen Nächsten geheim hält.

Aus Amins Entscheidung, seine falschen Identitäten sukzessive für den Filmemacher und Freund Rasmussen abzustreifen, schöpft „Flee“ dramaturgische Kraft. Diese zeigt sich auch in anderen Festivalbeiträgen, die von individuellen und kollektiven Ermächtigungskämpfen erzählen. Auch Filme aus Österreich finden sich im Online-Programm, etwa Johannes Gierlingers Essayfilm „Die vergangenen Zukünfte“ und „Eva-Maria“, über den Kinderwunsch einer jungen Frau mit Zerebralparese.

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