Künstlicher Intelligenz (KI)

Richard Socher: „In Japan hat man Roboter nie als Jobkiller betrachtet“

„In Japan sah und sieht man künstliche Intelligenz als Helfer und nicht als Feind. Im Westen ist das ganz anders“, sagt der KI-Forscher und Start-up-Gründer Richard Socher.
„In Japan sah und sieht man künstliche Intelligenz als Helfer und nicht als Feind. Im Westen ist das ganz anders“, sagt der KI-Forscher und Start-up-Gründer Richard Socher.GREG BAKER / AFP / picturedesk.c
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Der renommierte Forscher und Unternehmer Richard Socher will mit- hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) die Welt zu einer besseren machen. Warum sich niemand vor KI zu fürchten braucht und wie er Google in die Schranken weisen will, sagt er in folgendem Gespräch.

Ihre wissenschaftlichen Arbeiten wurden bereits über 100.000-mal zitiert, twitterten sie vor wenigen Tagen. Das ist enorm. Wenige KI-Forscher (Anm: KI steht für künstliche Intelligenz) haben das bisher geschafft. Was bedeutet Ihnen das?

Richard Socher: Über mehr als ein Jahrzehnt hat mir das sehr viel bedeutet. Ich hätte das nie für möglich gehalten, so oft zitiert zu werden. Und jetzt, wo das so ist, freue ich mich sehr darüber, aber meinen Fokus habe ich seit geraumer Zeit schon auf anderes gerichtet.

Worauf?

2020 habe ich ein neues Start-up gegründet. Seitdem arbeiten mein kleines Team und ich an einem neuen Internet. Wir haben vor drei Wochen die Suchmaschinenplattform you.com gelauncht. Wir wollen damit wieder mehr Vertrauen ins Internet bringen und es Menschen ermöglichen, ihre Informationsversorgung wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Deshalb haben wir uns verpflichtet, niemals unsere Nutzer im Web zu verfolgen oder ihre Daten zu verkaufen. Und Websites jeder Größe sollen die Chance haben, auf der ersten Seite der Suche zu erscheinen, sofern ihre Inhalte relevant sind.

Was etwa bei Google nicht der Fall ist?

Das Problem ist, die ganze Weltwirtschaft ist online gegangen, aber wir haben nur einen Torwächter, nämlich Google, der definiert, was man sieht, liest und kauft. Dieser Torwächter will mittlerweile gar nicht mehr Online-Wissen weiterleiten. Über 65 Prozent aller Google-Suchen sind sogenannte Null-Klick-Suchen. Das heißt, der Suchende wird von Google nicht mehr auf externe Seiten von Drittanbietern verwiesen, sondern bleibt im Google-Universum. So lässt sich nämlich viel mehr Geld verdienen, weil die Klicks bei Google bleiben.

Es geht Google demnach ausschließlich um die Maximierung der Werbeeinnahmen, nicht um die Relevanz der Suchergebnisse.

Mehr noch: Man hat festgestellt, dass die Werbung in den Hintergrund tritt, wenn die Inhalte zu relevant sind. Das heißt, der Fokus liegt nicht darauf, Inhalte relevant zu gestalten, sondern die Werbung. Darum gewinnt personalisierte Werbung immer mehr an Bedeutung, was dazu führt, dass unsere Privatsphäre völlig ausgehöhlt wird.

Wenn Ihre Suchplattform das alles anders machen, nicht mit gezielter personalisierter Werbung arbeiten und Daten schützen will, wie verdienen Sie dann Geld?

Die wahre Antwort lautet: Wir wissen es noch nicht. Klar ist: Wenn man das Interface für das digitale Leben kreiert, gibt es sehr viele Möglichkeiten. Ich habe da einige Ideen. Aber es wäre nicht schlau, sie jetzt schon unserer Konkurrenz zu erzählen.

Das heißt, Ihre Geldgeber und Sie trägt der Glaube an eine Idee.

So ist es, das gibt es im Silicon Valley. Ein Beispiel: Es wurde gemunkelt, dass das Videoportal YouTube in der ersten Zeit eine Million Dollar pro Tag verloren hat, bevor es 2006 um eine Milliarde Dollar von Google gekauft wurde. Es gibt viele Firmen, Facebook, Google, Tesla, die jahrelang Verluste gemacht haben. Sie alle haben jedoch gezeigt, dass eine Idee, wenn sie funktioniert, unglaublich viel Einfluss auf unser Leben haben kann. Ob in der Forschung oder in der Anwendung – mir ist es immer schon darum gegangen, mithilfe von KI die positiven Auswirkungen auf die Menschheit zu maximieren.

Wenn Sie sich das immer schon zugetraut haben, müssen Sie immer schon sehr selbstbewusst gewesen sein.

Das klingt vielleicht selbstbewusst, aber tatsächlich weiß ich nur zu gut, wie sich nagende Selbstzweifel anfühlen. Als Start-up-Gründer erlebe ich laufend emotionale Berg- und Talfahrten. Und meine ersten wissenschaftlichen Publikationen über künstliche Neuronale Netze wurden anfänglich von allen Top-Journalen abgelehnt.

Warum?

An sich sind Ablehnungen in der Forschung etwas Normales. Der Begutachtungsprozess von wissenschaftlichen Arbeiten hat so seine Tücken, vor allem, wenn man etwas ganz Neues machen will. Wir haben etwa in einer sehr umfassenden Arbeit ein Modell, das zehn verschiedene Sprachverarbeitungssysteme gleichzeitig lösen kann, präsentiert. Auch diese Arbeit wurde mehrfach abgelehnt, weil der Inhalt für die akademische Konferenz zu viel war. Und manche Professoren taten sich schwer damit, dass wir Sprache, Wörter, Buchstaben als große Zahlenreihen darstellten, was zuvor noch niemand getan hatte.

Wann war Ihnen klar, dass KI die Welt verbessern kann?

Das hat schon damit begonnen, dass ich im Gymnasium Sprachen und Mathematik sehr mochte. Sprache ist kreativ. Irgendwann sagt ein Jugendlicher „yolo“ (Anm.: you only live once)oder „fomo“ (Anm.: fear of missing out) und schon gibt es ein neues Wort. Auf der anderen Seite ist da die Mathematik, die fundamental im Universum verankert ist. Ich wollte beide Interessen kombinieren und bin so zur Linguistischen Informatik gekommen. An der Uni Leipzig hatte ich das Fach „Statistisches Lernen“ – Begriffe wie Maschinelles Lernen, KI, Deep Learning oder Neuronale Netze gab es damals für mich noch nicht. Irgendwann begriff ich, wenn man Statistisches Lernen richtig gut versteht, kann man es auf Sprache, Genetik, Ökonomie, eigentlich auf alles anwenden. Alles in der Welt lässt sich mit Zahlen beschreiben. Sobald man intellektuell vertieft hat, dass auch Wörter nur Zahlenreihen im großen vieldimensionalen Raum sein können, wird klar, dass sich alles mittels Statistischem Lernen bzw. KI vorhersagen und effizienter gestalten lässt. Das hat mich so fasziniert, dass ich während meines Masters beschloss, diese Technologie voranzutreiben. Dazu kam, dass mich repetitive Tätigkeiten wie Schneeschaufeln oder Müll hinaustragen immer gelangweilt haben. Es macht Sinn, sie zu automatisieren.

Dass künftig viele unserer Tätigkeiten automatisiert und Jobs wegfallen werden, macht vielen Menschen große Angst.

Heute machen sich Menschen viele Gedanken und Sorgen darüber, was passiert, wenn solche Tätigkeiten automatisiert werden. Doch wenn es einmal so weit ist, wird bald niemand mehr sagen: „Ach wie schade, warum können wir den Müll nicht mehr selbst hinaustragen.“ Würde man heute die Menschen fragen, ob sie nicht lieber wieder mit einer Hacke den ganzen Tag in der Sonne oder Kälte am Feld arbeiten wollen, wird jeder fragen: „Warum? Das kann doch ein Traktor viel besser machen.“ Aber ich verstehe, dass sich Menschen Sorgen um ihren Job machen. Kurzfristig gesehen tue ich das auch. Längerfristig bin ich optimistisch, dass wir neuen kreativeren Aufgaben nachgehen werden, so wie das auch in der Vergangenheit etwa nach den industriellen Revolutionen der Fall war.

Interessant ist, dass KI in der westlichen Welt viel kritischer gesehen wird als etwa in Japan, China oder Taiwan.

In der westlichen Literatur und Kunst werden im Zusammenhang mit KI sehr häufig dystopische Szenarien beschrieben, aber es gibt keine Utopien. Offenbar sind Utopien zu langweilig. Spannender ist es anscheinend, sich zu überlegen, wie alles schiefgehen, anstatt, wie man alles besser machen könnte. In Japan hingegen hatten Roboter immer ein sympathisches Image. Sie wurden nicht als Feind oder Jobkiller, sondern als Helfer gesehen. Das hat damit zu tun, dass die Bevölkerung zwar überaltert ist, aber dennoch keine Einwanderung wünscht. Unabhängig davon waren und sind die Japaner sehr technikaffin.

Zu etwas anderem: Können Sie mir erklären, warum es die KI noch immer nicht schafft, Gespräche halbwegs fehlerfrei zu transkribieren? Dieses Interview etwa. Woran liegt das?

Sprachverarbeitung ist das spannendste Forschungsfeld im Bereich der KI. Sprache ist Manifestation von menschlicher Intelligenz. Nicht unsere Motorik oder unser visuelles Verstehen unterscheidet uns von den Tieren, sondern unsere Sprache, wenngleich es auch Tiere mit Sprache kommunizieren. Wale zum Beispiel. Aber soviel wir wissen, ist ihre Sprache weit weniger komplex als die menschliche. In der Sprache verknüpft sich logisches Denken, visuelles Verstehen und vieles mehr. Das erklärt ein wenig, vor welchen Problemen die KI bei der Sprachverarbeitung steht. Dazu kommt, dass KI-Algorithmen nur trainierbar sind, wenn sie genügend gute, repräsentative Trainingsdaten zur Verfügung haben. Das ist gerade bei Transkriptionsprogrammen fürs Deutsche nicht der Fall. Eine weitere Herausforderung sind die verschiedenen Dialekte und auch Sprachpausen, die die KI nicht immer richtig interpretieren kann. KI kann auch keinen Sarkasmus verstehen.

Wenn ich mit Ihnen spreche, kann ich Ihr nächstes Wort allein aus dem Kontext erahnen. Könnte das auch die KI, wären Übersetzungen und Transkriptionen besser oder?

Ja, und in diesem Bereich des „Transfer Learning“ (d. h., dass eine Maschine das Wissen, das sie zur Lösung eines Problems erworben hat, auch auf ein anderes anwenden können soll) hat sich in den vergangen Jahren – gerade in der Sprachverarbeitung – sehr viel getan. Es gibt KI-Modelle, die mit zig Millionen Texten und 170 Milliarden Parametern arbeiten. Das heißt, es ist kaum möglich, Texte zu formulieren, die diese Modelle noch nicht kennen. Deshalb können sie schon sehr gut Texte klassifizieren, generieren oder weiterführen. Aber der vielversprechendste Durchbruch sind die sogenannten Sprachmodelle. Dazu habe ich auch einiges publiziert. Das Ziel, das „Language modeling“ erreichen soll, klingt ganz simpel: das nächste Wort vorherzusagen. Aber um das treffsicher tun zu können, braucht es unheimlich viel menschliches Wissen. Wenn ich sage: „Wir sind mit dem Auto zwei Stunden von Wien nach . . . gefahren“ werden Sie aufgrund Ihres Allgemeinwissens abschätzen können, an welche Orte wir gefahren sein könnten.

Das heißt, um das nächste Wort vorhersagen zu können, muss das KI-System Geografie, Geschichte und vieles mehr pauken?

Ja, es muss sich Weltwissen aneignen und deshalb so viel wie möglich lesen, das gesamte Wikipedia zum Beispiel. Und irgendwann wird der Algorithmus den Satz „Die Hauptstadt von Österreich ist . . .“ mit „Wien“ abschließen können.

ZUR PERSON

Richard Socher wurde 1983 in Dresden geboren. In Leipzig und Saarbrücken studierte er Computerlinguistik. Dann ging er an die US-Unis Princeton und Stanford, wo er sich mit seiner Forschung an neuronalen Netzwerken für Spracherkennung einen Namen machte. Heute zählt er weltweit zu den meistzitierten künstliche Intelligenz (KI) -Forschern. Eine Professur an der Uni Princeton schlug er aus, um ein Start-up zu gründen. Bereits 2016 kaufte es der US-Tech-Riese Salesforce. Socher wurde wissenschaftlicher Leiter von Salesforce. 2020 gründete er das neue Start-up you.com und launchte vor zwei Wochen eine neue Suchplattform, die sich bewusst von Google unterscheidet. Auf www.you.comwerden keine Werbungen geschaltet und die Daten der Nutzer nicht erfasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2021)

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