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Ärztekammer-Präsident Szekeres: „Man war einige Nummern zu optimistisch“

Guenther Peroutka
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„Die Presse“ und der Wiener Städtische Versicherungsverein luden zum Gespräch zwischen Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres und Rainer Nowak, Chefredakteur und Herausgeber „Die Presse“.

Wien. Noch im Sommer war die Pandemie für Geimpfte für so gut wie beendet erklärt worden. Inzwischen gab es den nächsten Lockdown; schon wird vor einer weiteren Welle, der fünften, gewarnt. Wie konnte es so weit kommen?

Diese Frage stellte „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak am Montagabend dem Ärztekammer-Präsidenten Thomas Szekeres im virtuellen „Gespräch im Turm“, einer Veranstaltung der „Presse“ in Zusammenarbeit mit dem Wiener Städtische Versicherungsverein. Das Virus, so Szekeres, habe sich gewandelt, es ist ansteckender geworden und der Schutz der Impfung lasse „relativ schnell nach“ – etwas, das man so „nicht bedacht“ habe. Dazu komme, dass „es uns nicht gelungen ist, ausreichend Menschen davon zu überzeugen, dass die Impfung einen guten Schutz vor schwerer Krankheit darstellt.“

Dass andere Länder bessere Impfquoten haben, erklärt er sich damit, dass ihnen die Pandemie zuvor stärker „um die Ohren geflogen“ sei. „Bei uns war es nicht so dramatisch. So gesehen rächt sich vielleicht das bessere Management in Österreich zu Beginn der Pandemie. Dafür mussten wir jetzt Infektionszahlen erleben, die extrem hoch waren.“ Zuletzt gehörte Österreich zu einem der drei Länder mit den höchsten Infektionszahlen, „mit einem wirklich exponentiellen Anstieg, die Zahlen haben sich jede Woche verdoppelt, was sehr beunruhigend war.“ Das habe dann auch zum Lockdown und zur Impfpflicht geführt. Im Nachhinein, so Szekeres, sei man jedenfalls immer klüger: „Man war einige Nummern zu optimistisch.“

„Wir können nicht auf die Impfpflicht warten"

Wie wichtig eine Auffrischungsimpfung werden könnte, darauf habe Israel Österreich freilich schon im Sommer aufmerksam gemacht, gab Nowak zu bedenken. Warum man dann erst recht spät mit den Boostern begonnen habe? Szekeres: „Da waren wahrscheinlich unsere Experten im Impfgremium ein bisschen zögerlich.“ Mittlerweile hätte aber die Hälfte aller doppelt Geimpften auch den dritten Stich. Allerdings müsse man nun „Gas geben: Wir können nicht warten, bis die Impfpflicht in Kraft tritt.“ An alle noch nicht (ausreichend) Geimpften appellierte er, das möglichst noch vor Weihnachten nachzuholen und sich beraten zu lassen – die niedergelassenen Ärzte seien hier der „Schlüssel“.

Man müsse jedenfalls alles daran setzen, weitere Lockdowns zu verhindern. Ein Lockdown sei eine „Ausnahmesituation, die wir alle nicht möchten. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, ist, die Impfquote zu erhöhen.“ Dafür müsse man mit jenen Menschen, die Sorgen haben, sprechen, um ihnen Ängste vor der Impfung zu nehmen. Die Impfung sei gut verträglich, in „ganz seltenen Fällen“ gäbe es Komplikationen, „die wir auch gut behandeln können – im Gegensatz zur Krankheit, die nicht gut verträglich ist, wo einer von hundert Infizierten stirbt und wo bis zu zehn Prozent der Infizierten chronische Beschwerden haben. Wenn junge Leute es nicht mehr schaffen, in den zweiten Stock zu gehen, ist das dramatisch. Wir wissen auch nicht, wie man dieses Long Covid wirkungsvoll behandelt.“ Ein positiver Punkt sei die Tatsache, dass es demnächst Medikamente geben wird, die schwere Verläufe verhindern könnten. „Allerdings ist auch das keine Alternative zur Impfung.“

Zahlen sind „explodiert"

Kein Verständnis hat Szekeres für Menschen, die vor Spitälern demonstrieren. „Wir bemühen uns alle, unser Bestes zu geben, um die Krankheit zu bekämpfen.“ Dass er selbst inzwischen bedroht wird, versuche er „wegzuschieben.“ Videos, in denen es wirkt, als würde er dazu aufrufen, Menschen zu fesseln, um sie zu impfen, seien gefälscht: „Ich habe das Gegenteil gesagt: Dass man eine Impfpflicht nicht mit Gewalt wird durchsetzen können.“

Dass die Impfpflicht von der Politik lange ausgeschlossen und dann ohne Debatte quasi über Nacht beschlossen wurde, führt Szekeres auf folgende Umstände zurück: „An dem Wochenende sind gerade die Zahlen explodiert, in eine Richtung, die vorher unvorstellbar war.“ Deshalb habe man die Impfpflicht beschlossen, „in der Hoffnung, dass sich ausreichend Menschen impfen lassen. Jetzt kommt man drauf: So einfach ist das alles nicht.“

Dass für neue Virusvarianten neue Impfungen nötig werden könnten – so eine der Fragen von „Presse“-Userinnen und -Usern, hält er in Bezug auf die Impfpflicht aber für kein verfassungsrechtliches Problem: Dank mRNA-Technologie könne man relativ rasch neuen Impfstoff entwickeln, sei die Technologie doch eigentlich entstanden, um im Kampf gegen Tumore individuelle Impfungen für einzelne Patienten zu erstellen. „Diese Möglichkeit kann man sich jetzt zunutze machen.“

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Ärzte im Land halten

Fehlende Maßnahmen im Sommer will Szekeres rückblickend nicht kritisieren. „Es ist ein Unterschied, ob man Politiker ist oder Experte.“ Im Sommer seien die Zahlen so niedrig gewesen, „dass sich die Leute schwergetan hätten, Maßnahmen zu akzeptieren.“

Jedenfalls, so Nowak, sei die Pandemie ein Stresstest für das gesamte Gesundheitssystem. Welche Lehren man ziehe? Szekeres: „Dass das Gesundheitssystem mehr Ressourcen braucht, insbesondere mehr Personal.“ Die Kollegen hätten bereits „Übermenschliches“ geleistet. Auch sei er froh, dass es in der Vergangenheit gelungen sei, „einiges an Einsparungswünschen zu verhindern. Wenn es nach den Gesundheitsökonomen gegangen wäre, hätten wir halb so viele Kapazitäten.“ Ein jedenfalls drohendes Problem sei die Tatsache, dass die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren in Pension geht. „Wir müssen darauf achten, dass kein Loch entsteht.“ Schon jetzt sei es schwer, Kassen- und Spitalsstellen zu besetzen. Zwar würden ausreichend Mediziner an den Universitäten ausgebildet, „aber wenn dann ein Drittel bis zu 40 Prozent ins Ausland geht oder nicht zu arbeiten beginnt, dann stimmt etwas mit den Arbeitsbedingungen nicht.“ (red)


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