Ex-"Bild"-Chef Reichelt: "Wurde in zwanzig Minuten am Telefon entsorgt"

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Bild - Julian Reichelt(c) APA/dpa/Michael Kappeler
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Julian Reichelt war als "Bild"-Chefredakteur entlassen worden, weil er Beziehungen zu Mitarbeiterinnen hatte. Nun sprach er über seinen Rauswurf und seine Zukunftspläne: Er will Journalismus für die Massen machen.

Vor fast zwei Monaten wurde der damalige "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt geschasst, weil er Beziehungen zu Mitarbeiterinnen unterhalten hat. Nun hat er sich zum ersten Mal in einem Interview zu Wort gemeldet. Im Gespräch mit der "Zeit" äußerte er sein Unverständnis über seinen Rauswurf und zeigte sich enttäuscht über Medienmanager Mathias Döpfner, Chef des Axel-Springer-Konzerns, zu dem die "Bild" gehört.

Bereits im Frühjahr hatte das Medienhaus das interne Verfahren gegen Reichelt angestoßen. Nach Springer-Angaben standen im Kern der Untersuchung die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. Der Konzern kam zum Schluss, dass Reichelt eine zweite Chance bekommen sollte.

Mitte Oktober hatte Springer Reichelt von seinen Aufgaben entbunden. Der Konzern hatte das Ende der Zusammenarbeit so begründet: "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat."

"Hat es mich überrascht, wie überrascht er gewesen sein will"

Diesen Vorwurf will Reichelt im "Zeit"-Interview nun nicht so stehen lassen: Er sagte, Döpfner habe über eine Beziehung Reichelts Bescheid gewusst. "Deswegen hat es mich sehr überrascht, wie überrascht er gewesen sein will. Man hat mich unterm Strich wegen meiner Beziehung rausgeworfen."

Auf die Frage, ob er seinen Rauswurf habe kommen sehen, sagte Reichelt: "Nein, ich war im Urlaub, stand am Autozug nach Sylt, als der Anruf von Mathias auf dem Handy kam. Nach zwanzig Jahren loyaler Arbeit, zehn davon in Kriegsgebieten, wurde ich in zwanzig Minuten am Telefon entsorgt."

"Was ich erlebt habe, kann inzwischen jedem Menschen geschehen", glaubt Reichelt. Er meint: "Es geht um ein gesellschaftliches Phänomen, und ich glaube, vielen Menschen wird zunehmend bewusst, dass es einen furchterregenden, totalitär anmutenden Wandel links der Mitte gibt." Er bestreitet, Frauen, die ein sexuelles Verhältnis mit ihm hatten, besonders gefördert und andere benachteiligt zu haben. Auf die Frage der "Zeit", warum diese Frauen seiner Meinung nach mit ihm geschlafen hätten, antwortet er, darüber habe er nie nachgedacht.

Keine PR, sondern Journalismus für die Massen

Im Gespräch geht es auch über die berufliche Zukunft Reichelts. Er wolle "auf jeden Fall weitermachen", sagte er und ergänzte: "Wenn es keinen passenden gibt, hat man in einem freien Land ja die Möglichkeit, sich diesen Job selber zu schaffen." PR wolle er nicht machen, "sondern Journalismus für die Massen. Ich liebe es, Millionen Menschen eine starke Stimme zu geben".

Er sprach auch darüber, dass er danach gefragt werde, ob er ohne "Bild" leben könne, die Zeitung sei doch sein Leben gewesen. Reichelt sagte: "Das ist falsch. Nicht Julian Reichelt ist Bild, sondern: Bild war Julian Reichelt. Was diese Marke dargestellt hat, basierte auf meiner Arbeit, meinen Gedanken."

Ein Springer-Sprecher teilte auf dpa-Anfrage mit: "Wir haben unserer bisherigen Darstellung nichts hinzuzufügen."

>> Das Interview in der "Zeit" (kostenpflichtig)

(APA/dpa/Red.)

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