Lockdown

"Fleckerlteppich" bei Öffnungen: "Medizinisch nicht nachvollziehbar"

APA/GEORG HOCHMUTH
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Die unterschiedliche Vorgehensweise in den Bundesländern sorgt nicht nur für Verwirrung in der Bevölkerung, für Experten ist sie aus epidemiologischer Sicht „unlogisch“.

Dass die Bundesländer unterschiedliche Wege aus dem Lockdown wählen - und dass in westlichen Bundesländern rascher und weiter geöffnet werde, obwohl sie höhere Inzidenzen zu verzeichnen haben als der Osten, ist für den Leiter des Klinikums Salzburg, Richard Greil, „medizinisch nicht nachvollziehbar“.

Er hat sich am Donnerstag für eine zweistufige Vorgangsweise bei der Aufhebung des Lockdowns ausgesprochen. Außerdem mahnt er angesichts der sich ausbreitenden Omikron-Variante großes Tempo beim dritten oder vierten Stich ein. Denn derzeit sei die neue Variante wegen des Lockdowns noch nicht sehr verbreitet, außerdem seien die Schulen über die Weihnachtsferien geschlossen, sagte der Arzt im Ö1-"Mittagsjournal".

Nach der Öffnung des Handels sollte man sich um den 20. Dezember ansehen, ob die Zahl der Neuinfektionen "bei Aufrechterhaltung des Lockdowns für Ungeimpfte und bei Zunahme der Drittimpfungen" tatsächlich weiter nach unten gehe. Angesichts der hohen Zahlen sei es fundamental, sich die Option offen zu halten, mit den nächsten Lockerungsschritten noch zu warten - oder sogar die Zügel wieder enger anzuziehen. Mit diesem zweistufigen Vorgehen sende die Politik das klare Signal sowohl an die Gastronomie als auch an die Bevölkerung aus, dass weiterhin Vorsicht angebracht sei.

Klimek: „Aus epidemiologischer Sicht unlogisch"

"Schwer nachvollziehbar" bezeichnete auch Komplexitätsforscher Peter Klimek die bundesländerweise recht unterschiedlichen Gangart. Dass jetzt Regionen mit höheren Inzidenzen mit weniger strengen Regelungen öffnen, sei aus epidemiologischer Sicht unlogisch. Aus wirtschaftlicher Sicht sei dies freilich anders. Unmittelbar in eine neue Welle sieht er Österreich aber durch das Lockdownende nicht laufen. Die "große Unbekannte" ist aber Omikron, mahnt auch Klimek ein.

Halte man sich vor Augen, dass Menschen Maßnahmen am ehesten dann befolgen, wenn sie "nachvollziehbar, verständlich und konsistent" sind, dann ist dieses Kriterium mit dem Bundesländer-"Fleckerlteppich", mit dem Österreich ab nächsten Woche gestaffelt aus dem Lockdown geht, nicht erfüllt. Dass Gebiete mit immer noch hohen Inzidenzen teils mehr öffnen als solche mit niedrigen, zeige, dass nicht nur die Infektionskurve für die politische Schwerpunktsetzung wichtig ist - "was auch nichts Schlechtes ist. Natürlich muss man auch die wirtschaftliche Seite sehen", so Klimek

Dritter Stich durch Omikron „umso wichtiger"

Die Delta-Variante sei mit den weiter aufrechten Einschränkungen vermutlich halbwegs unter Kontrolle zu halten. Was allerdings mit der offenbar deutlich leichter übertragbareren Omikron-Variante, gegen die laut ersten Labordaten auch der Impfschutz und der Schutz durch eine durchgemachte Erkrankung reduziert ist, auf uns zu kommt, sei noch offen. Nicht nur in Südafrika, sondern auch in Großbritannien und Dänemark steigen die Fallzahlen mit der neuen Variante rapide. "Da gehen jetzt langsam die Erklärungen aus, warum das in Österreich nicht so sein sollte, und diese Variante in den nächsten Wochen und Monaten nicht übernimmt", sagte der Experte.

Die ersten Labordaten hätten aber gezeigt, dass vor allem Personen, die die dritte Impfung erhalten haben, einen deutlich besseren Schutz gegen Omikron haben. Das sei eine "gute Nachricht", und zeige, dass Impfungen und vor allem der dritte Stich "nun umso wichtiger werden".

Klimek sprach sich außerdem dafür aus, dass die 2-G-Regelungen, das Tragen der FFP2-Masken und Einschränkungen bei Veranstaltungen weiter durchgezogen werden. Natürlich wäre aus epidemiologischer Sicht 2-G und ein aktueller negativer PCR-Test - also "2-G-plus" - zum Beispiel im Eventbereich zu empfehlen, wo so und so Tickets kontrolliert werden müssen. Das würde dem Kultur- und Sportbereich leichter ermöglichen, offen zu halten.

Regelmäßige PCR-Tests für alle

Experten der Forschungsplattform "Covid-19 Future Operations" fordern unterdessen in einem aktuellen Papier mehr langfristige und evidenzbasierte Planung politischer Maßnahmen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Deren Ende sei nicht absehbar, subjektiv könne sie aber in den Hintergrund treten, "wenn wir gewisse Handlungen zur Gewohnheit machen, ähnlich wie wir z.B. unsere Kleidung dem Wetterbericht anpassen". Entscheidend dafür seien das Impfen und regelmäßige PCR-Tests für alle.

Regelmäßige PCR-Tests auch von geimpften und genesenen Personen seien entscheidend, um früh Infektionsketten zu durchbrechen und damit Lockdowns zu verhindern. Dafür brauche es ein funktionales flächendeckendes Angebot an PCR-Tests wie in Wien, wo mit "Alles gurgelt" die PCR-Gurgeltests daheim durchgeführt und in diversen Geschäften abgegeben werden können. Ziel soll der Aufbau eines bundesweiten Systems von 2-G-plus (geimpft/genesen mit Ablaufdatum plus aktueller PCR-Test) sein, bei dem alle unabhängig vom Impfstatus regelmäßig PCR-testen. Bis die Kapazitäten entsprechend ausgebaut sind, sollen Schulen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern, Senioren- und Pflegeheimen Vorrang haben. Der Zugang zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen (vom Kino über Wirtshaus bis zum Fitnessstudio) soll grundsätzlich nur Geimpften und Genesenen offenstehen, je nach Inzidenz zusätzlich auch mit Masken- bzw. PCR-Testpflicht.

Darüber hinaus seien Kontaktbeschränkungen wichtig und „teils unerlässlich“. Dieser Schritt müsse aber nachvollziehbar gemacht werden, angesichts der mittlerweile hohen Pandemiemüdigkeit brauche es außerdem größtmögliche Planbarkeit.

Relevant sei zudem, die Impfquote zu steigern. Dafür sollen u.a. Bürgermeister oder Menschen aus Gesundheitsberufen verstärkt zum Impfen motivieren, zusätzlich brauche es angepasste Kommunikation für Gruppen mit geringer Impfbereitschaft oder spezielle Impfangebote etwa für Jugendliche. Außerdem soll es beim Impfangebot Zielvorgaben für die Bundesländer geben. Handlungsbedarf sehen die Experten angesichts der hohen Inzidenzen bei den Schülern, für diese soll es niederschwellige Information, Impfangebote und altersgemäße Impfanreize (z.B. Impfen an ungewöhnlichen Orten) geben. Insgesamt müsse man auf individuelle Impfängste einfühlsam und ohne Polarisierung eingehen und auch die geplante Impfpflicht psychologisch gut vorbereiten und begleiten.

(APA)

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