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Der ökonomische Blick

Österreich modernisiert seine Fusionskontrolle

Als die Europäische Kommission Ende letzten Jahres den Erwerb des Fitnesstracker-Herstellers Fitbit unter Auflagen genehmigte kam es zu intensiven öffentlichen Debatten.
Als die Europäische Kommission Ende letzten Jahres den Erwerb des Fitnesstracker-Herstellers Fitbit unter Auflagen genehmigte kam es zu intensiven öffentlichen Debatten.APA/AFP/JOE KLAMAR
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Als eines der letzten Länder in der EU rückt Österreich mit 1.1.2022 vom reinen Marktbeherrschungstest in der Fusionskontrolle ab.

Bei Unternehmensfusionen muss künftig in Österreich (wie auch in der EU) geprüft werden, ob sie wirksamen Wettbewerb erheblich behindern (engl. Significant Impediment to Effective Competition, kurz „SIEC-Test“). Damit einher gehen ein stärkerer Einsatz ökonomisch geprägter Methoden (zur Prognose der Preiseffekte von Fusionen) und ein stärkerer Fokus auf die erwarteten Auswirkungen einer Fusion (durch Formulierung konsistenter Schadenstheorien).

Je enger der Wettbewerb zwischen den Partnern und je profitabler die Marktpositionen vor der Fusion, desto eher ergeben sich unter dem SIEC-Test Wettbewerbsbedenken. Weitere wichtige Indizien folgen aus Wechselbarrieren für die Kunden, den Gründen für die Fusion oder geplanten Kosteneinsparungen. Die Marktanteile der Fusionspartner sind ebenso relevant, unter dem SIEC-Test jedoch lediglich einer von mehreren Faktoren.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Besorgnis über zunehmende Marktkonzentration bildet den Kontext dieser Reform. Die Daten zeigen auch in Europa steigende Marktkonzentration und steigende Profitraten. Zunehmende Konzentration ist längst nicht auf den IT-Sektor mit seinen Giganten Google, Facebook und Co beschränkt. Viele Sektoren vom produzierenden Gewerbe bis zu Energieversorgung oder Finanzdienstleistungen sind betroffen. Vor diesem Hintergrund wird vielerorts eine starke und dynamische Fusionskontrolle gefordert.

Koltay/Lorincz (2021)

Fusionskontrolle soll dynamischer werden

Als die Europäische Kommission Ende letzten Jahres den Erwerb des Fitnesstracker-Herstellers Fitbit durch Google unter Auflagen genehmigte kam es zu intensiven öffentlichen Debatten. Eine internationale Gruppe renommierter WettbewerbsökonomInnen rief die Kommission auf, den Erwerb zu untersagen. Eines ihrer Argumente: Google könnte durch die Gesundheitsdaten der Fitbit-NutzerInnen seine Marktmacht auf digitale Gesundheitsdienstleistungen ausweiten. Die Kommission argumentierte, der zusätzliche Wert der Fitbit-Daten für Google sei unklar und Wettbewerber von Google hätten ohnehin Zugang zu ähnlichen Daten. Darüber hinaus könne eine Fusion nicht auf Basis von Spekulation untersagt werden.

Die ökonomische Literatur zeigt, dass Fusionen Innovationswettbewerb hemmen können. Prominent wurden sogenannte „Killer Acquisitions“, Erwerbsvorgänge mit dem Ziel ein konkurrierendes Entwicklungsprojekt „umzubringen“. Ein Forschungsteam um den Österreicher Florian Ederer (Yale) hat für die USA nachgewiesen, dass Marktführer im Pharmabereich Konkurrenzprodukte im Entwicklungsstadium aufkaufen, um diese Produkte dann einzustellen. Die Einstellung erfolgt sogar dann, wenn das erworbene Produkt qualitativ hochwertiger ist und besonders häufig knapp unter den Anmeldeschwellen der Fusionskontrolle (ein Argument für Transaktionswert-basierte Anmeldeschwellen, wie Österreich sie 2017 eingeführt hat).

Eine Diskussion zu einem anderen Aspekt dynamischen Wettbewerbs entfaltete sich im Gefolge der Siemens/Alstom-Untersagung 2019 auf höchster politischer Ebene. Dabei wurde verstärkt der Ruf nach europäischen Großunternehmen laut. Nur so könne man der gefürchteten Konkurrenz von China und Co. begegnen. Die Fusionskontrolle solle dem nicht im Wege stehen. Das Gegenargument überzeugt nicht alle: Unternehmen, die zuhause geringem oder keinem Wettbewerb ausgesetzt sind, werden auch im internationalen Wettbewerb schlecht aussehen und gleichzeitig den heimischen KundInnen hohe Preise verrechnen.

Wettbewerbskommissarin Vestager zeigte bislang Skepsis gegenüber der Forderung, Industriepolitik stärker im Rahmen der Wettbewerbspolitik zu berücksichtigen. Mit Einführung des zusätzlichen Rechtfertigungsgrundes der volkswirtschaftlichen Erforderlichkeit hat der Gesetzgeber gegen die Empfehlung der führenden österreichischen WettbewerbsökonomInnen diese Tür auch in Österreich wieder einen Spalt weiter aufgemacht.

Verstärkter Blick auf Minderheitsbeteiligungen

Auch die Rolle von Minderheitsbeteiligungen wird zunehmend kritisch diskutiert. Diese können einen Anreiz zu Preiserhöhungen auslösen, wenn die Anteilseignerin von den Gewinnen mehrerer Unternehmen im selben Markt profitiert. Der OGH ging bisher davon aus, dass sich für einen wettbewerbswidrigen Zusammenschluss neben dem Beteiligungsgrad auch Einflussmöglichkeiten im Zielgeschäft ergeben müssen. Der SIEC-Test sollte dazu beitragen, dass in Übereinstimmung mit der ökonomischen Literatur derartige Einflussmöglichkeiten keine Voraussetzung für wettbewerbswidrige Effekte darstellen (Einflussmöglichkeiten können jedoch solche Effekte verstärken).

Der unter dem Marktbeherrschungstest naheliegende Fokus auf Marktabgrenzung und das Aufaddieren von Marktanteilen ist in vielen Fällen unzureichend. Das exakte Verhältnis zwischen Marktbeherrschungstest und SIEC-Test ist dabei noch nicht letztlich geklärt. Ein EuG-Urteil dazu (zur Telekom-Fusion H3G/O2) liegt derzeit beim EuGH.

Für die genannten Herausforderungen scheint jedenfalls eine ökonomische Prüfung von Fusionen unter dem SIEC-Test den geeigneteren Rechtsrahmen zu bilden.

Der Autor

Anton Hartl ist Ökonom bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und arbeitet dort vorwiegend an ökonomischen Aspekten der Zusammenschlusskontrolle sowie der Untersuchung von Marktmachtmissbrauch und Kartellen.

Anton Hartl
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