Nachruf

Lina Wertmüller: Eine Lebefrau des Euro-Kinos

Lina Wertmüller
Lina Wertmüller(c) Valerio Portelli / LaPresse via ZUMA Press / dpa
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Eine umtriebige Zeitzeugin des italienischen Films – und die erste für einen Regie-Oscar nominierte Frau – ist verstorben.

Außergewöhnlich lang war ihr Geburtsname: Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Español von Braueich. Ausufernd waren oft auch die Titel ihrer Filme, etwa „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“. Überbordend und erfahrungssatt war aber vor allem ihr Leben, das sich nicht zwischen zwei Buchdeckel pressen lässt: Mit Lina Wertmüller, die am Freitag 93-jährig in Rom verstorben ist, verliert die europäische Filmgeschichte eine ihrer umtriebigsten Zeitzeuginnen.

Dass Wertmüller 1977 als erste Frau für einen Oscar in der Kategorie „beste Regie“ nominiert wurde – für die Pikareske „Sieben Schönheiten“ –, macht sie zu einer Gleichstellungsikone. Tatsächlich hatten frühe Arbeiten („Diesmal sprechen wir über Männer“) einen feministischen Impetus. Doch Wertmüllers über 30 Filme fassendes Werk lässt sich nicht auf ein Motiv festnageln.

Geboren wurde die italienische Künstlerin 1928 in Rom. Ihr Vater stammte aus einem Schweizer Adelsgeschlecht. Dass Wertmüller früh ihrer Freundin Flora Carabella (der späteren Frau Marcello Mastroiannis) folgte und sich dem Theater zuwandte, war ein Akt der Rebellion. Nach einem entsprechenden Studium gründete sie eine eigene Truppe, schrieb Stücke, reiste durch Europa. Fast alle Gewerke der Bühnenkunst probierte sie aus. Und fand schließlich zum Film, über Assistenzen bei Francesco Rosi und Federico Fellini.

Theater, Filmregie, Drehbuch, Romane und Oper

Wertmüllers Regiedebüt „Die Basilisken“ (1963), über den Alltag junger Bummelanten in Süditalien, kann noch als Ausläufer des Neorealismus betrachtet werden. Schon hier zeigt sich aber ein Hang zur Überzeichnung, den Wertmüller später zu einem eigenständigen, tragikomischen und international erfolgreichen Stil entwickelte. Etwa in „Mimi, in seiner Ehre gekränkt“ (1972), über die Irrungen und Wirrungen eines sizilianischen Kommunisten. Oder „Liebe und Anarchie“ (1973), worin ein Bauer sich zu einem Attentat auf Mussolini anschickt.

Das Leben der Menschen im ärmeren italienischen Süden und die Absurditäten des Politischen blieben zeit ihres Lebens Gegenstand von Wertmüllers Schaffen. Wichtige Wegbegleiter waren dabei ihr Stammdarsteller Giancarlo Giannini, aber auch Wertmüllers Ehemann, der Kostüm- und Bühnenbildner Enrico Job. In ihrem weniger prominenten Spätwerk fand die Regisseurin eine Mitstreiterin in Sophia Loren. Sie drehte auch mit Mastroianni, Harvey Keitel, Nastassja Kinski und Rutger Hauer.

Neben ihrer Regietätigkeit war Wertmüller auch als Drehbuchautorin für Kollegen aktiv. Zudem zeichnete sie 1964 für eine kultige TV-Serie mitverantwortlich („Il giornalino di Gian Burrasca“ mit Rita Pavone), schrieb Romane und eine Autobiografie, versuchte sich als Synchronsprecherin. Und am Musiktheater: 1992 inszenierte Wertmüller „Carmen“ an der Bayerischen Staatsoper. Am bedeutendsten bleibt ihr filmisches Œuvre, für das sie mit zahlreichen Preisen geehrt wurde. Ihr Markenzeichen war die weißgerahmte Brille. Diese kommt nun im Etui zur Ruhe. Doch wir bleiben hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal. (and)

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