Regierungsbildung

Tschechien: Präsident lehnt "Piraten" als Außenminister ab

Candidate for Czech Foreign Affairs Minister Jan Lipavsky (Pirates), right, speaks to journalists outside Lany Chateau
Candidate for Czech Foreign Affairs Minister Jan Lipavsky (Pirates), right, speaks to journalists outside Lany Chateauimago images/CTK Photo
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Jan Lipavský von der Piratenpartei sei für das Amt zu wenig qualifiziert, zu Israel-kritisch und versöhnlich gegenüber den Sudetendeutschen, findet Staatspräsident Zeman. Die Regierungsbildung gerät ins Stocken, Premierminister Petr Fiala will an Lipavský festhalten.

Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman hat am Freitag Medienberichte bestätigt, wonach er es ablehne, den Politiker Jan Lipavský von der sogenannten „Piratenpartei" zum Außenminister zu ernennen. Dieser ist zwar vom Premierminister nominiert worden. Zeman aber wirft dem 36-jährigen Informatiker mit Schwerpunkt Bank-/Finanzwesen und bisherigen Abgeordneten „niedrige Qualifikation" vor. Er habe „nur ein Bachelorstudium" absolviert und seine Abschlussarbeit sei „mit der schlechtesten Note bewertet" worden, heißt es in einer Aussendung der Präsidentschaftskanzlei.

Als weiterer Grund wird die „distanzierte Haltung" Lipavskýs zu Israel sowie zur Zusammenarbeit im Rahmen der Visegrád-Gruppe (Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen) genannt. Dies widerspreche dem Programm der künftigen neuen Fünfer-Regierungskoalition.

Sudetendeutsches Treffen in Tschechien?

Schließlich wirft Zeman Lipavský einen Vorschlag vor, wonach der nächste Sudetendeutsche Tag auf tschechischem Gebiet stattfinden sollte. Das ist ein seit 1950 jährlich zu Pfingsten stattfindendes Treffen von Sudetendeutschen bzw. deren Nachfahren, zu dem regelmäßig Zehntausende Besucher kommen. In der Regel findet es in Deutschland statt, es gab aber auch schon einige solcher Veranstaltungen in Wien.

Sudetendeutsche waren die rund drei Millionen deutschsprachigen Bewohner Böhmens, Mährens und Schlesiens, die ab 1945 fliehen mussten bzw. zwangsweise aus dem Gebiet der Tschechoslowakei nach Deutschland und Österreich vertrieben wurden. Viele von ihnen wurden getötet.

2016 nahm erstmals ein tschechisches Regierungsmitglied am Sudetendeutschen Tag teil: Der damalige Kulturminister Daniel Herman entschuldigte sich dabei in Nürnberg für die Vertreibung der Sudetendeutschen.

FILE PHOTO: Czech President Milos Zeman watches as employees of Prague Castle light candles to commemorate the victims of the coronavirus disease (COVID-19) pandemic at Prague Castle in Prague,
FILE PHOTO: Czech President Milos Zeman watches as employees of Prague Castle light candles to commemorate the victims of the coronavirus disease (COVID-19) pandemic at Prague Castle in Prague,REUTERS

In der Aussendung der Prager Burg heißt es weiter, dass Zeman Einwände auch gegen weitere Ministerkandidaten wegen mangelnder Fachkompetenz habe. Allerdings werde er diese ernennen, um zum Entstehen der neuen Regierung beizutragen.

Klage vor Verfassungsgericht möglich

Der neue Premier Petr Fiala von der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der die Kandidaten für die Ministerposten im Namen der Fünfer-Koalition vorgeschlagen hatte, reagierte auf Zemans Erklärung: Er nehme sie „zur Kenntnis". Gleichzeitig stellte er freilich eine Kompetenzklage gegen den 77-jährigen Präsidenten in Aussicht: „Der Verfassungsgerichtshof muss ein für alle Mal die Frage der Kompetenzen in Sachen der Ernennung von neuen Regierungsmitgliedern lösen", so Fiala in Anspielung auf die jetzige sowie frühere Weigerungen Zemans, einige Nominierte zu Ministern zu ernennen.

In der Aussendung der Präsidentschaftskanzlei heißt es wiederum, dass die Verfassung den Präsidenten nicht verpflichte, jeden Vorschlag anzunehmen. Im Gegenteil: „Vorschlag" impliziere, dass dieser sowohl angenommen als auch abgelehnt werden könne. Sonst sei es ja kein Vorschlag.

News Bilder des Tages Civic Democrat (ODS) chairman and the new Czech Prime Minister Petr Fiala speaks to journalists at
News Bilder des Tages Civic Democrat (ODS) chairman and the new Czech Prime Minister Petr Fiala speaks to journalists atimago images/CTK Photo

Der Chef der Piratenpartei und künftige Minister für regionale Entwicklung, Ivan Bartoš, betonte, man werde von der Nominierung Lipavskýs nicht absehen. Er sei ein „qualifizierter Qualitätskandidat", der das Koalitionsprogramm repräsentiere.

Piraten seit 2017 im Parlament

Die Piratenpartei sitzt seit 2017 im tschechischen Parlament. Bei der Wahl heuer im Oktober trat sie in einer Union mit der liberal-konservativen Bürgermeisterpartei an, beide zusammen kamen auf 15,6 Prozent der Stimmen (= Rang drei). Dabei sind die Piraten allerdings der weit kleinere Partner: Sie stellen vier Sitze im Abgeordnetenhaus sowie drei Senatoren, die Bürgermeisterpartei hingegen 33 Abgeordnete und 19 Senatoren. Ob die Piraten ohne Letztere im Verbund überhaupt wieder ins Parlament gekommen wären, ist fraglich.

Die Piratenpartei begann im Kern als bunte, linke Protestpartei mit einem gewissen Spaßelement und einem thematischen Schwerpunkt im Bereich Kommunikationstechnologien, verortet sich heute als liberal-progressiv und rückte ein wenig Richtung Mitte. Piratenparteien gibt es auch unter anderem in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Schweden, Tunesien und Neuseeland. In Prag stellt sie seit 2018 den Oberbürgermeister.

(APA/wg)

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