Junge Forschung

Wie das Recht an der Welt scheitert

Die Frage danach, wie der Mensch mit der Natur in Verbindung steht, ist für ein gerechteres Rechtssystem zentral, betont Daniela Gandorfer.
Die Frage danach, wie der Mensch mit der Natur in Verbindung steht, ist für ein gerechteres Rechtssystem zentral, betont Daniela Gandorfer.Graham Holoch
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Klimawandel, Neokolonialismus und neue Technologien fordern unsere Rechtssysteme heraus. Die Literatur- und Rechtswissenschaftlerin Daniela Gandorfer sucht Alternativen.

Das Home-Office ist im zweiten Pandemiejahr keine ergiebige Kulisse mehr. Und ein virtuelles Institut bietet sich auch nicht gerade an. So wählte Daniela Gandorfer von der University of California, Santa Cruz (USA) und dem Logischen Phantasie Lab einen besonderen Ort für das „Presse“-Fotoshooting als Metapher für ihre Forschung aus: die Parkanlage auf dem Dach des neuen Busbahnhofs von San Francisco. Das passt, denkt doch die gebürtige Kärntnerin Dinge zusammen, die üblicherweise nicht zusammengedacht werden.

Schon für ihre Doktorarbeit in Vergleichender Literaturwissenschaft an der Princeton University (New Jersey, USA) hat sich die heute 33-Jährige mit Rechtsmodellen und Wirklichkeit beschäftigt. Für ein Buch, das im nächsten Jahr erscheint und für dessen Manuskript sie im Herbst mit einem Ascina(Austrian Scientists and Scholars in North America)-Award vom Wissenschaftsministerium ausgezeichnet worden ist, schlägt sie nun ein neues, ethisches Rechtsdenken vor.

Tiere und Flüsse als Rechtssubjekte

„Unser Recht tut sich schwer mit gegenwärtigen Herausforderungen wie Klimawandel, Neokolonialismus und neuen Technologien. Diese weisen komplexe Systeme von Verbundenheit auf, die bestehende Rechtssysteme nicht wirklich greifen können“, sagt Gandorfer, die an der Universität Wien auch Rechtswissenschaften studiert hat. „Die Frage ist, wie Mensch und Umwelt zusammengehören.“ Es gehe ihr auch darum, nicht menschliche Lebensformen im Recht mitzubedenken, das sei nicht nur mit Blick auf synthetische Biologie relevant.

„Es braucht ein Rechtsdenken, das sich seiner eigenen Untrennbarkeit von der materiellen Welt bewusst ist.“ Gegensätzliche Entwicklungen beobachtet sie rund um Tech-Governance-Modelle, die mit künstlicher Intelligenz und Blockchains arbeiten – und davon ausgehen, dass absolut alles auf der Welt von einem Computer repräsentierbar ist. Theoretische Anleihen für ihre Rechtsentwürfe findet sie in der feministischen Prozessphilosophie genauso wie in der Quantenphysik. Noch am ehesten entsprechen Gandorfers Vorstellung indigene Rechtssysteme und auch westliches Rechtsdenken, das Tiere oder Flüsse als Subjekte anerkennt.

Es gehe ihr übrigens keinesfalls darum, alle bestehenden Rechtsformen über den Haufen zu werfen. „Es braucht aber Erweiterungen zum bestehenden Instrumentarium, ähnlich den Menschenrechten“, stellt sie fest. Wie solche aussehen können und wo konkret aktuelle Rechtskonzepte nicht greifen und Ungerechtigkeiten erzeugen, daran forscht sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von 16 verschiedenen Unis und Instituten am Logischen Phantasie Lab, das sie mitbegründet hat und dem sie als Co-Direktorin vorsteht. „Ein Rechtssystem, das enger mit der Welt verbunden ist, enger damit, wie die Welt funktioniert, und damit, wie wir eine Umwelt miterschaffen müssten, in der mehrere Formen der Existenz möglich sind, würde bestehende wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse bedrohen.“ Die drei Schwerpunkte des akademischen Thinktanks liegen auf dem Recht zu atmen, der Kriminalisierung von Widerstand und den fehlenden Maßnahmen angesichts des Wissens um die Erderwärmung.

Gandorfer selbst setzt sich vor allem mit dem Menschenrecht auf Atmung auseinander. „Da muss man die Verschränkungen von Luftverschmutzung zu ,I can't breathe‘ (Slogan der ,Black Lives Matter‘-Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt; Anm.), zum Abbau der Ozonschicht, zu neuen Technologien mitdenken. Es ist schwer, all die damit einhergehenden Ungerechtigkeiten in Sprache zu fassen. Es braucht ein neues Konzept, das auch lokal differenziert anwendbar ist“, erklärt die Wissenschaftlerin, die es nicht nur in der Theorie, sondern auch im Privaten gern herausfordernd hat. „Ich mache viel Sport und gehe hier an körperliche Grenzen, zum Beispiel mit langen Radtouren“, erzählt sie. Während der Pandemie verlegte sie das Home-Office zeitweise zurück nach Wien. Ob sie an eine Rückkehr aus den USA denke? Zumindest ausschließen möchte sie das nicht.

Zur Person

Daniela Gandorfer (33) studierte Recht und Germanistik an der Uni Wien und promovierte 2020 an der Princeton University (USA) in Vergleichender Literaturwissenschaft. Sie ist Mitbegründerin des Logischen Phantasie Labs und derzeit auch an der University of California, Santa Cruz, tätig. Für ihre Arbeit wurde sie heuer vom Wissenschaftsministerium mit dem Ascina-Award ausgezeichnet.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2021)

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