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Literatur

Ein Stöckelschuh zwischen den Gleisen

13 feine Sprachetüden: Gabriele Petriceks Erzählband „Am Ufer meines Setzkastens“.

Ein Ausflug ins Waldviertel, der Einsturz der Reichsbrücke, ein singender Vogel im Baum vor dem Fenster der eigenen Wohnung, die Nachricht vom Tod eines Fischers in der Zeitung, eine Zugfahrt nach Rom, der Besuch von Azumas Zen-Garten im burgenländischen Sankt Margarethen, James Joyces „Ulysses“ – die Ereignisse, die die Erzählungen in Gabriele Petriceks Band „Am Ufer meines Setzkastens“ auslösen, sind äußerst divers. Eine engere thematische Klammer, die die 13 Texte zu einem konziseren größeren Ganzen fassen würde, sucht man auf den 164 Seiten daher vergebens.

Immer sind es sehr konkrete, kleine Situationen, die Petricek, 1957 in Krems geboren und zunächst als Modedesignerin und Modejournalistin tätig, bevor sie 2005 ihren ersten Erzählband veröffentlichte, beschreibt. Ein Detail dieses äußeren situativen Erlebens ruft im Inneren der Ich-Erzählerin persönliche Erinnerungen hervor, wobei der Schluss naheliegt, dass die Autorin hier durchgängig selbst spricht – nicht zuletzt deshalb, weil es sich bei dem letzten Text um ein Interview mit „G. P.“ handelt, in dem ihre Schreib- und Arbeitsweise erläutert wird. Meist beziehen sich diese Erinnerungen auf die eigene Arbeit, das Schreiben, häufig aber auch auf die Kindheit, die Familie und hier wiederum vielleicht am meisten auf die (früh verstorbene) Mutter.

In dieser Pendelbewegung zwischen äußerem Sinneseindruck und innerlicher Reflexion entsteht dann ein Text: In „Maleur und Manöver“ etwa überblendet Petricek eine an sich ereignislose Zugfahrt nach Rom, auf der die Ich-Erzählerin jedoch von dem „Maleur“ hört, das sich auf exakt derselben Strecke einen Tag zuvor ereignet hat – durch einen Kurzschluss kam es zu einem Brand im Zug –, mit Erinnerungen an ihre Mutter, die beinahe einmal von einem Zug überfahren worden wäre, weil sich ihr Stöckelschuh in den Gleisen verfangen hatte, was sie durch ein intuitives geschicktes „Manöver“ jedoch vermeiden konnte, indem sie kurzerhand aus beiden Schuhe schlüpfte, um weiterlaufen zu können.

Das Verfahren dieser einen Erzählung kann dabei durchaus als typisch für den gesamten Erzählungsband gelten, der insgesamt eine Art Erinnerungs- und Situationsmosaik darstellt, in dem Außen und Innen und Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen. Erzählungen im engeren Sinn ergeben sich aufgrund dieses Erzählverfahrens nicht wirklich, auch wenn das absichtslose Berichten, als das man das Erzählen vielleicht umschreiben könnte, ihren Duktus bestimmt. Doch es fehlen dramaturgische Bögen, stringente Handlungen oder Figuren, die entwickelt würden. Als verbindendes Element fungieren in „Am Ufer meines Setzkastens“, Petriceks fünfter Veröffentlichung, vielmehr einzig und allein das Ich, das hier zur Leserin spricht, und dessen Erinnerungs- und Erlebniswelt, sodass sich der Band beinahe wie ein (Arbeits-)Tagebuch liest, eine Art Weblog einer Schreibenden ohne näher bestimmtes Thema.

Und vielleicht ist das auch das grundlegende Problem des Bandes: das Fehlen eines größeren Anliegens oder eines konkreten Themas. Damit einher geht nämlich auch eine vollkommene Freiheit in der Form. Sprachlich wirken die Texte dagegen durchwegs ambitioniert. Man könnte die Texte daher auch ganz einfach wie satztechnische, sprachhandwerkliche Fingerübungen lesen – wie 13 feine, sehr intime Sprachetüden einer individuellen Autorinnen-Innerlichkeit.

Gabriele Petricek
Am Ufer meines Setzkastens
Erzählungen. 168 S., geb., € 18 (Sonderzahl Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2021)