Inklusive Hochschulen

Ein neues Verständnis von Normalität

Der neue Lehrgang an der Uni Wien soll Pädagogen ermutigen, inklusive digitale Bildungskonzepte zu erarbeiten.
Der neue Lehrgang an der Uni Wien soll Pädagogen ermutigen, inklusive digitale Bildungskonzepte zu erarbeiten. Robert Kneschke/Adobe Stock
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Wie lehren und leben österreichische Hochschulen Inklusion? Drei Beispiele innovativer und zukunftsweisender Konzepte.

Thema: Lichtblicke

In der Hochsaison der Spendengalas, deren Verständnis von Inklusion zunehmend hinterfragt wird, bietet sich an, Konzepte von Hochschulen gegenüberzustellen, die auf die gleichberechtigte Teilhabe an Gesellschaft und Bildung abstellen.

Einen bisher noch wenig beachteten Aspekt von Inklusion will ein Lehrgang in den Mittelpunkt stellen, der am Postgraduate Center der Universität Wien ab Herbst 2022 angeboten werden soll. Der Zertifikatskurs „Digital Inclusion“, geleitet vom Kultur- und Sozialanthropologen Wolfgang Kraus, beschäftigt sich mit dem unterschiedlichen Zugang von Menschen zu digitaler Kommunikation. Ausschlaggebend dafür seien zum Beispiel Geschlecht, Alter, sozioökonomische Stellung, Standort, Sprache oder körperliche Herausforderungen. Diese Kategorien gelte es etwa für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mitzudenken, sagt Christa Markom, die wissenschaftliche Koordinatorin des Kurses. Zu sozialer Ungleichheit könne die geringere Nutzung digitaler Medien insbesondere bei älteren Menschen führen. „Für Menschen über 70 kann es sehr schwierig sein, sich in einem Impfportal oder für Tests anzumelden – und auch sehr hochschwellig, in diesen Apps zu navigieren.“Wir suchen in diesem Themenschwerpunkt nach Momenten, Geschichten und Modellen, die den lebensnotwendigen Optimismus erlauben, in einer Zeit, in der Pessimismus durch die Pandemie allgegenwärtig ist.

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Der Ausschluss aufgrund fehlender digitaler Kenntnisse zeige sich in vielen Situationen, egal, ob es um Laptops für Homeschooling gehe, um fehlende Technik für Menschen mit Sehbehinderung oder um unzureichende Finanzierung für Gebärdensprachdolmetscher. All diese Themen würden im Zertifikatskurs unter rechtlichen, ethischen und sozialen Aspekten aufgerollt, Strategien des Umgangs damit und auch die eigene berufliche Situation thematisiert. Jelena Tosic, ebenso wissenschaftliche Koordinatorin des Programms, nennt auch die Tätigkeit von Lehrern, Trainern oder Erwachsenenbildnern als Beispiel. Spätestens die Herausforderungen von Lockdowns und Homeschooling hätten aufgezeigt, dass es neue inklusivere digitale Bildungskonzepte geben müsse. „Da geht es nicht nur um das Lernen über Applikationen wie Zoom oder Teams, sondern auch etwa um Fragen der Robotik und der Übernahme von Bildungsaufgaben durch KI. Ich denke, dass der Zertifikatskurs Pädagogen wesentlich dabei unterstützen kann, sich mit all diesen Fragen zu befassen und sie in ihrer Arbeit aktiv anzugehen.“

Barrierefreundliche Website

Wie Hochschulen selbst mit Inklusion umgehen, zeigt sich auch an deren Online-Auftritten. Die IMC Fachhochschule Krems etwa unterzog heuer ihre Website einer Zertifizierung für Barrierefreundlichkeit bei TÜV Austria, um sie so weit wie möglich für alle Menschen nutzbar zu machen – unabhängig von technischer Ausstattung, Sicherheitseinstellungen oder persönlichen Beeinträchtigungen.

Der Zertifizierungsprozess, der über die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen abgewickelt wurde, mündete in der Verleihung eines „Web Accessibility Certificate Austria“ (Waca) in Silber. Die Erfüllung der Waca-Richtlinien bringe Nutzern etwa eine verbesserte Interaktion der Website mit Screenreadern (Vorlese-Software), aber auch die Möglichkeit, sie rein mittels Tastatur zu bedienen, erklärt der Website-Verantwortliche der FH, Robert Ringseis. Durch die barrierefreie Anpassung und Gestaltung würden das Anwendungserlebnis im Internet und die Bedienungsfreundlichkeit verbessert – Vorteile nicht nur für blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen, so Ringseis. „Letztlich profitieren alle.“

Tutorium: Gemeinsam lernen

Den Gewinn für alle Beteiligten betonen auch die Verantwortlichen eines unikalen Lehrgangs der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig. Dort besteht seit 2017 Österreichs einziges hochschulisches Programm, in dem Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen ausgebildet werden. Der vierjährige Lehrgang „Blue“ – ein Akronym für „Bildung, Lebenskompetenz und Empowerment“ – bereitet sie auf Assistenzberufe vor, etwa im pädagogischen Bereich. Sie besuchen ausgewählte Lehrveranstaltungen aus dem Curriculum der Hochschule – gemeinsam mit regulären Lehramtsstudenten, die ihre Kollegen als Tutoren in Organisation und Vorbereitung unterstützen. Blue-Studierende absolvieren zudem Praktika an Schulen, Kindergärten und an der FH Salzburg. „Natürlich muss alles sehr gut begleitet und besprochen werden“, sagt Programmkoordinatorin Sabine Harter-Reiter, die in Zukunft noch mehr Bildungseinrichtungen als Partner gewinnen möchte.

In bisherigen Praktika habe das Modell meist ausgezeichnet funktioniert. Bei den regulären Studenten stößt das Tutorium, das sie als Freifach wählen können, laut Harter-Reiter auf großes Interesse. „Sie lernen, ihre Kollegen dabei zu unterstützen, Eigenständigkeit zu entwickeln – und dies zu reflektieren.“ Besonders erfreulich sei die Rückmeldung der Studenten, es entstehe ein neues Verständnis von Normalität. „Sie sagen oft: ,Es ist eigentlich vollkommen normal, was wir machen.‘ Auch für uns Lehrende wird erlebbar, dass die Vorstellung dessen, was normal ist, sich stark verändert.“

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