Es gibt mehr als eine „Unvollendete“, und ein geniales Kind ist ernst zu nehmen: Michi Gaigg und ihr L'Orfeo Barockorchester haben Schuberts Symphonien samt den Fragmenten auf alten Instrumenten aufgenommen.
Eine Fortissimo-Fermate auf dem Grundton gebietet Obacht. Streicherachtel pochen leise, eine Wechselnote im Bass kommt dazu, ein Anlauf der Klarinette, nachgeahmt von der Flöte: Beinah wie eine festlich-freundliche D-Dur-Version von Haydns „Vorstellung des Chaos“ aus der „Schöpfung“ klingt das, die Einleitung zu Beethovens Zweiter ist nicht weit. Was mag bei dieser Ouvertüre hinter dem jetzt noch geschlossenen Vorhang warten? Exquisite Holzbläsersoli, hin oder her. Die dramatischen Mollwendungen, die mehrfach auftauchen, gehen über herkömmlichen Theaterdonner hinaus – und münden einmal sogar in einen schaurigen Halt: als sei man beim Waldspaziergang im Unterholz plötzlich gefährlich nah an den Rand der Wolfsschlucht aus Webers „Freischütz“ geraten. Dabei wird sich deren finsterer Schlund erst zehn Jahre später aufreißen – und Franz Schubert war gerade einmal 13 oder 14, als er in diesem Adagio sogleich die volle orchestrale Farbpalette inklusive Posaunen heranzog, um seiner überbordenden Fantasie Gestalt zu verleihen.
Michi Gaigg und ihr L'Orfeo Barockorchester verniedlichen und behübschen nichts. In keinem Moment beschleicht einen das Gefühl, hier würde einem begabten Kind mit herablassend liebevollem Lächeln der Kopf getätschelt. Nein, alles ist Ernst, Dramatik, Dringlichkeit. Es dürfte am Allegro liegen, dass dieser erste Symphonien- oder Ouvertürenanfang, überliefert in drei zum Teil recht unterschiedlichen Varianten (D 2A, 2B, 2G; 30 bis 65 Takte), Fragment geblieben ist. Es klingt nämlich, als wären die Kopfsatzthemen der ersten drei Beethoven-Symphonien ineinandergeschachtelt zu allem und nichts.