Das republikanische Establishment muss sich auf eine Revolte in den eigenen Reihen einstellen. Die Parteigranden bekommen es in den nächsten Jahren mit unberechenbaren Tea-Party-Leuten und mit Sarah Palin zu tun.
Am Ziel seiner Träume rang der neue starke Mann der Republikaner mit den Tränen. Als sich John Boehner, der künftige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, an seine Anfänge als Schankbursch in der Arbeiterkneipe seines Vaters in Cincinnati in Ohio erinnerte, überwältigte ihn die Rührung. „Ich habe immer dem amerikanischen Traum nachgejagt.“
Als könnte er es selbst kaum glauben, stellte sich Bohener zwei Jahre nach dem Debakel der Grand Old Party bei den Präsidentenwahlen in der Nacht zum Mittwoch als der große Gewinner vor seine Parteifreunde und präsentierte sich als die Personifikation republikanischer Werte. Seht her, sollte das heißen: Ich habe es geschafft – zuerst ans College, danach als kleiner Unternehmer in den Country Club und schließlich an die Spitze von Partei und Parlament.
Es gebe keine Zeit zum Feiern, sagte er im Bewusstsein, dass der Kongress bei den Wählern zutiefst diskreditiert ist. Nur ein Viertel schätzen die Arbeit des US-Parlaments. „Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln“, rief er in den Saal. Boehner weiß nur zu genau, dass die Amerikaner nicht plötzlich ihre Liebe zu den Republikanern wiederentdeckt haben. Das Schlamassel der Bush-Ära ist nicht vergessen. Im antagonistischen politischen System betrachten die US-Bürger die Opposition derzeit nur als kleineres Übel. Unter dem Prinzip von „Checks und Balances“, der austarierenden Kräfte, sind die Midterm Elections ein Korrektiv und die erstbeste Gelegenheit, die Macht der Regierung zu beschneiden.
Das republikanische Establishment muss sich indes auf eine Revolte in den eigenen Reihen einstellen. Sowohl Boehner als auch Mitch McConnell, der Minderheitsführer im Senat, bekommen es in den nächsten Jahren mit unsicheren Kantonisten zu tun – den Tea-Party-Abgeordneten. Die außerparlamentarische Bewegung hat der bereits totgesagten Partei in den letzten 20 Monaten zu neuem Leben verholfen, und jetzt marschiert sie mit teils fundamentalistischen Forderungen nach Washington. Per Twitter gab Sarah Palin die Devise aus, den Transformationsprozess der Nation zu stoppen, den Präsident Obama vermeintlich forciert.
„Eine zweite Chance“
Marco Rubio, der Darling der radikalen Patrioten aus Florida und der neue Stern aus dem Süden, formulierte in seiner Siegesrede im blau-weiß-roten Konfettiregen unter nachtblauem Himmel des von der Krise schwer gebeutelten „Sunshine State“ eine Warnung an die Parteielite: „Es ist eine zweite Chance für die Republikaner, das zu sein, was sie einmal sein wollten.“ Der 39-jährige kubanischstämmige und stramm konservative Neo-Senator gilt als Führungsreserve und schon jetzt als potenzieller Vizepräsidenschaftskandidat für 2012.
Ähnlich kämpferisch klang Rand Paul, der Augenarzt aus Kentucky, der sich gegen eine Wahlempfehlung seines Landsmanns McConnell durchgesetzt und bereits angekündigt hat, nicht stets mit dem Mainstream seiner Partei zu stimmen. Für Zwist wird schließlich auch „Mama Grizzly“ Palin sorgen. Führende Parteigranden haben sich angeblich schon verschworen, ihren Präsidentschaftsambitionen ein Ende zu setzen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2010)