Lobau-Protest

„Klima der Angst und Einschüchterung“

LOBAU-PROTESTCAMPS
LOBAU-PROTESTCAMPS(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Nicht Verkehrs- oder Umweltfragen standen im Mittelpunkt einer Pressekonferenz über die Stadtstraße, sondern die Menschenrechte.

„Was sich wie ein handfester Skandal anhört, ist auch einer“, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin der österreichischen Sektion von amnesty international (ai). Was vorgefallen sei, „ist ein Schlag ins Gesicht“, der darauf abziele, „kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen“.

Der „handfeste Skandal“, von dem ai-Chefin Schlack spricht, habe die Gestalt von Briefen, die am Freitag der vergangenen Woche – am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte – zugestellt worden sind. Darin werden Mitglieder von Organisationen dazu aufgefordert, die Baustelle für die so genannte „Stadtstraße“ zu räumen. Die ist seit Spätsommer von Aktivisten besetzt und blieb es auch, nachdem vom Infrastrukturministerium der Bau des Lobautunnels und die Schließung des Autobahnrings um Wien abgeblasen wurde.

Der Brief, der von den NGO-Vertreterinnen durchgängig als „Drohbrief“ bezeichnet wird, ist auch an minderjährige Teilnehmerinnen geschickt worden, auch an welche unter 14, und außerdem an Leute, die bei den Aktionen in der Lobau gar nicht mitgemacht, sondern diese vor allem in sozialen Medien befürwortet haben. In dem Schreiben der Anwaltskanzlei „Jarolim und Partner“ (Hannes Jarolim ist SPÖ-Politiker) heißt es unter anderem, dass „eine solidarische Haftung sämtlicher beteiligten Aktivist*innen für den gesamten Schaden“ bestehe. Dem Vernehmen nach könnten insgesamt 20 Millionen Euro als Schadenssumme behauptet werden.

“Vorgangsweise mit London abgeklärt“

„Das ist eine Taktik, die wir auf der ganzen Welt erleben“, berichtet die ai-Chefin weiter. Es handle sich eindeutig um eine „Slapp-Klage“. Slapp steht für „strategic lawsuits against public participation“; „slap“ bedeutet aber auch „Ohrfeige“. Die Rechtsmittel, die hier angedroht würden, „sind völlig unverhältnismäßig, verletzen das Recht auf freie Meinungsäußerung und entfalten eine abschreckende Wirkung, die ein zunehmend feindselige Umfeld schaffen. Die Folge ist ein Klima der Angst.“ Dass eine amnesty-Sektion Vorgänge im eigenen Land kommentiert, ist eher unüblich, kommt aber vor. Schlack: „Die Vorgangsweise ist mit London abgeklärt.“ Die Zentrale von amnesty befindet sich in der britischen Hauptstadt, wo die Menschenrechtsorganisation 1961 gegründet worden ist.

Den Anwaltsbrief hat auch Barbara Laa erhalten, die als Wissenschaftlerin zu Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen Universität Wien forscht. „Was als Stadtstraße bezeichnet wird, hat die Dimensionen einer Autobahn.“ Laa, die an keiner Protestaktion teilgenommen, sie aber in Postings moralisch unterstützt hat, ist nicht zur Gänze gegen eine Straße, lediglich gegen deren derzeitige Ausmaße. „Wir brauchen eine multi-modale Straße mit Gehsteigen und Radwegen.“

Die behauptete Rechtssicherheit gebe es für die Stadt Wien nicht, denn die Spange zur S 1 sei noch nicht rechtskräftig genehmigt.“ Im UVP-Bescheid für die Stadtstraße sei dieses Projekt außerdem nicht für den Bau von 60.000 Wohnungen Bedingung, sondern lediglich von 17.500. „Und es gibt auch auch die Möglichkeit ein UVP-Projekt zu ändern.“

„Gefühl, dass ich mich engagieren muss"

Mirjam Hohl („Fridays for future“): „Ich habe vor einem Jahr begonnen, mich zu engagieren – nicht, weil ich wollte, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass ich muss. So geht es uns allen. Die Stadtstraße ist de facto eine Autobahn, die die Hoffnung auf unsere Zukunft begräbt. Klimamusterstadt ist nicht mehr als ein hohler Begriff, die Drohbriefe offenbaren das wahre Gesicht.“

Lucia Steinwender („System Change, not Climate Change“) sieht die Stadtstraße als Teil einer „Uralt-Verkehrspolitik“. Angesichts einer möglichen Schadenssumme von mehren Millionen „hab ich natürlich Angst. Aber wenn Klimaschutz zum Verbrechen wird, dann weiß ich, dass wir das Richtige tun.“ Sie streicht hervor, dass alle gesellschaftlichen Veränderungen von der Zivilgesellschaft erkämpft worden seien, und oft auch jenseits des festgeschriebenen Rechts, wie etwa das Wahlrecht von Frauen, und meint: „Wir sind eine große Bewegung“.

Lena Schilling („Jugendrat“): „ „Eine 13-Jährige hat den Drohbrief bekommen und mich angerufen. Sie hat geweint und war aufgelöst. Ist das der Weg, wie mit der Kritik von jungen Menschen umgegangen wird? Wir müssen mutig und wach auf diese Welt schauen.“ Konrad Rehling, Geschäftsführer von „Südwind“: „Wir setzen uns international dafür ein, dass sich vor allem Jugendliche einbringen. Was jetzt hier geschieht, ist das Gegenteil davon, echte Teilhabe zu ermöglichen. Das macht mich betroffen.“

Drei Forderung der NGOs

Sophie Lampl, Kampagnenleiterin von „Greenpeace“ spricht von einer „Einschüchterungsklage“ und einem „Tiefpunkt der Sozialdemokratie“. Sie kritisiert Bürgermeister Michael Ludwig (SP) scharf, der jeglichen Dialog in der Sache abgelehnt habe. Außerdem sei es unglaublich, dass die sozialen Medien offenbar systematisch abgegrast worden seien, um Befürworter der Aktonen in der Lobau zu finden.

Lampl stellt namens der Organisationen drei Forderungen: Klagsdrohung zurückziehen, eine öffentliche Entschuldigung und: „Wir rufen Bürgermeister Ludwig zur Vernunft auf. Es muss ein Dialog auf Augenhöhe beginnen, in dem alternative Verkehrslösungen geuscht werden.“ Die Klimabewegung räume der Politik damit eine Frist von 48 Stunden ein. Was nach Ablauf dieser Frist geschehe, wurde nicht dargelegt.

In einer ersten Stellungnahme sagt Bürgermeister Michael Ludwig, man solle nicht glauben, „dass sich der Wiener Bürgermeister ein Ultimatum stellen lässt.“ Er habe bei den Aktivisten keine Dialog-Bereitschaft ausgemacht. Mit einer Aussendung hat sich die für Verkehr zuständige SP-Stadträtin Ulli Sima zu Wort gemeldet. Sie bezeichnete es erneut als „Missverständnis“, dass der Anwaltsbrief auch an Minderjährige geschickt worden sei. Sima beteuert, dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei, was „selbstverständlich“ auch für die konkrete Debatte um die Stadtstraße gelte, erinnerte aber daran, dass die Stadt Wien auch das Recht habe, ein „in allen Instanzen genehmigtes Infrastrukturprojekt“ zu realisieren.

Es habe „von Anfang an“ eine Dialogbereitschaft gegeben. Im Übrigen gehe es „schlichtweg um eine 3,2 km lange Gemeindestraße, die das neue Stadtentwicklungsgebiet mit der Südosttangente verbindet und bestehende Ortskerne in der Donaustadt entlasten wird.“ In der Aussendung heißt es, dass „kompakte Stadtentwicklung aktiver Klimaschutz“ sei.

„Es bedarf sensibler Vorgehensweise"

Aus dem Büro von Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos), der für Jugend zuständig ist, heißt es, Wiederkehr wolle keine persönliche Stellungnahme abgeben. Betont wird aber von einer Sprecherin, dass man dazu stehe, Stadtentwicklungsgebiete in der Donaustadt ausbauen zu wollen, um vor allem Wohnraum zu schaffen – dazu werde die Stadtstraße benötigt. Und weiter: „Im Sinne einer Deeskalation appellieren wir aber an die Dialogbereitschaft – denn die Anliegen besorgter Bürger*innen egal welchen Alters müssen gehört werden. Freie Meinungsäußerung ist eines unserer höchsten Güter und es bedarf daher einer sensiblen Vorgangsweise, für die wir uns einsetzen werden.“

Dunja Gharwal, Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien, betont im Gespräch mit der „Presse“: „Die Bedeutung der Kinderrechte im Zusammenhang mit dem Umweltschutz erlangt zunehmend an Bedeutung. Das Recht auf eine intakte Umwelt steht hier an erster Stelle. Das Recht auf Partizipation ist immer auch mit dem Kindeswohl sehr eng verknüpft und zeigt uns, dass generationsübergreifende Herausforderungen nur gemeinsam beantwortet werden können. Die derzeitige Ausgangslage aller Akteurinnen in der Fragestellung der Stadtentwicklung ist daher als Chance für Innovation zu sehen.“

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