Stadtstraße

"Stadtstraße": Beschwerde gegen Bescheid

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Die Genehmigungsverfahren der „Stadtstraße“ in der Donaustadt sind noch nicht über die Bühne: Ein Bescheid wird beeinsprucht; die aufschiebende Wirkung ist dem Einspruch jedoch aberkannt. Die Genehmigung untergräbt aber auch die Argumentation der Stadt Wien.

Den kritischen Blicken der Sachverständigen ist Baum 121, eine Silberpappel (populus alba), nicht entgangen: Sie steht in Wien-Donaustadt im Projektsabschnitt A der „Stadtstraße“ – eines vierspurigen Zubringers zu S1-Spange – und gilt als „Jungbaum“. Baum 116 trägt Walnüsse, ist nicht mehr ganz so juvenil, gilt rechtlich aber als Obstbaum. Pech für beide, sie dürfen gefällt werden, ohne dass Ersatzpflanzungen durchgeführt werden – die Definitionen lassen sie aus dem Geltungsbereich des Wiener Baumschutzgesetzes hinausfallen.

So durchkämmt der Bescheid der Wiener Landesregierung (1302833-2021 vom 16. November 2021) die Bewaldung eines Bauabschnitts nach dem anderen. Diese für Baumliebhaber schlechten Nachrichten sind allerdings nur ein Nebenschauplatz des Bescheids, der eine Station eines Verfahrens ist, das die Stadt Wien im Frühjahr angestrengt hat.

Beantragt wurde erstmals am 16. April (und nachdem die Behörde mangelnde Unterlagen moniert hatte dann schließlich endgültig am 2. Mai) eine „Änderung des Straßenvorhabens“ aufgrund des UVP-Gesetzes. Und allein dieser Umstand ist jetzt, im Dezember, eine Nachricht für sich. Die Tatsache zeigt nämlich, dass Abänderungsanträge im Grund möglich sind. Erst vor kurzem hieß es aus dem Büro der Verkehrsstadträtin, dass eine – von Projektgegnern geforderte – Redimensionierung der autobahnähnlichen Straße praktisch nicht möglich sei, weil sich über Jahre ziehende Verfahren die Folge wären.

Worum geht’s inhaltlich. Die Bauherrin Stadt Wien (MA 28) ersucht nicht nur darum, dass die „Ersatzpflanzungsverpflichtung neu zu beurteilen“ sei, sondern vor allem darum, dass Bauarbeiten auch an Wochenenden und in Nächten gebaut werden dürfen.

In dem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Wiener Landesregierung im UVP-Bescheid (413616/2018 vom 12. Juni 2018) eine Fülle von Auflagen erteilt hat. Eine davon, Auflage 11.1., schreibt vor, dass an Sonn- und Feiertagen keinerlei Bautätigkeiten durchgeführt werden dürfen, an Samstagen nur in einem Bauabschnitt (Seestadt Ost) und nur bis 12 Uhr.

Keine aufschiebende Wirkung

Unter der Woche ist die Bautätigkeit bis 19 bzw. 20 Uhr begrenzt, Ausnahmen gebe es nur, wenn es eine rechtskräftige Ausnahmebewilligung gebe. Und auch diese Ausnahmen sind mit 22 Uhr limitiert. Nachts sind Bauarbeiten jedenfalls tabu – soweit die Ausführungen auf Seite 35 des UVP-Bescheids. Begründet wird dies einerseits mit dem Schutz vor Lärmbelästigung der Anrainer, aber auch mit dem Schutz von Fledermäusen und Vögeln.

„Die Stadtstraße hängt in der Luft"

Im nunmehrigen Bescheid vom 16. November folgt die Behörde dem Wunsch der MA 28, die argumentiert, dass ohne Nacht- und Wochenendarbeit ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehe, weil es zu einer Bauverzögerung von drei Jahren komme.

Der Bescheid offenbart auch, dass die Koordination der Bautätigkeiten zwischen Stadt Wien und ÖBB nicht gelungen sein dürfte und dass im Zuge der Bautätigkeiten Abschnitte der U 2 neun Wochen lang total gesperrt werden sollen.

Im Juni hat die Bauwerberin dann angeregt, etwaigen Einsprüchen die aufschiebende Wirkung zu versagen. Auch diesem Ansinnen der Projektwerberin folgt die Behörde.

Gegen den Bescheid bringt nun Wolfram Schachinger (für die Bürgerinitiativen „Hirschstetten retten“ und „Netzwerk Verkehrsregion Wien- NÖ“) einen Einspruch in Stellung. Für ihn wird durch die Erlaubnis vor allem der Nachtarbeit ein „wesentliches Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung geändert“. Außerdem sei auf die Einwände der 233 Anrainern nicht tief genug eingegangen worden.

Mit Vehemenz wendet er sich auch gegen die Versagung der aufschiebenden Wirkung: „Von dieser rechtlichen Möglichkeit darf nur im absoluten Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden, etwa bei Gefahr im Verzug und bei einem hohen wirtschaftlichen Schaden. Bei einem Projekt dieser Größenordnung, müssen bei der Planung die Verfahrensdauern einkalkuliert werden.“

Kein Recht auf Klima

Die Argumentation sei außerdem nicht nachvollziehbar, denn spätestens seit der Entscheidung gegen den Lobau-Tunnel hängt die „Stadtstraße“ in der Luft. Schachinger: „Es gibt für die S1-Spange noch kein rechtskräftig abgeschlossenes naturschutzrechtliches Verfahren. Und ohne S1 hängt die Stadtstraße in derzeitiger Ausgestaltung in der Luft.“

Zum Schluss noch einmal zu den Bäumen: Aus dem Gutachten des Sachverständigen für Baumschutz habe sich zwar „plausibel“, wie der Bescheid festhält, ergeben, dass Ersatzpflanzungen im Umfang von 410 Bäumen vorzuschreiben seien, aber diese seien nicht möglich. Also: „Für diese 410 Ersatzbäume ist …. eine Ausgleichsabgabe zu errichten.“ Hingewiesen wird auch, dass im neuen Stadtviertel 500 Bäume gepflanzt werden sollen – ob dieser Baumbestand nicht auch ohne Straßenprojekt vorgesehen war, wird nicht erörtert, auch nicht, dass sich die volle Klimawirkung dieser Bäume erst nach ein paar Jahrzehnten entfaltet.

Aber: Die Besorgnis dreier Anrainerinnen um das Klima wird im Bescheid so abgewiesen: „Bei den (sic!) Vorbingen bezüglich der Auswirkungen auf das Klima handelt es sich nicht im Einwendungen im Rechtssinn, da das UVP-G 2000 kein subjektiv öffentliches Recht hinsichtlich Klima gewährt.“

>> Bescheid 1302833-2021 vom 16. November 2021

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