Neurologie

Der Mozart-Effekt gibt noch Rätsel auf

Der Mozart-Effekt geht auf amerikanische Untersuchungen aus den 1990er-Jahren zurück.
Der Mozart-Effekt geht auf amerikanische Untersuchungen aus den 1990er-Jahren zurück.IMAGO / imagebroker
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Mozarts Klaviersonate KV 448 trägt dazu bei, dass sich die Anfallsfrequenz bei Epileptikern verringert. Salzburger Forscher untersuchen an der Universitätsklinik, was genau für diese beruhigende Wirkung sorgt.

Aus der Gehirnforschung ist der sogenannte Mozart-Effekt schon seit Langem bekannt. In den 1990er-Jahren wurde nachgewiesen, dass Menschen, die Mozarts Sonate in D-Dur für zwei Klaviere KV448 hörten, danach kognitive Aufgaben besser lösen konnten als vorher. Ein Effekt, der seither immer wieder heftig diskutiert wird.

Mozarts Komposition soll aber nicht nur beim Lernen helfen, sondern auch eine positive Wirkung auf Menschen mit Epilepsie haben. Das wurde erst kürzlich durch internationale Studien gezeigt. Eine amerikanische Forschergruppe konnte nachweisen, dass bei Epileptikern die für die Anfälle spezifischen Erregungszustände im Gehirn abnahmen, wenn sie 30 bis 90 Sekunden die Sequenzen der Mozart-Sonate hörten. Bei anderen Stücken gab es keine Veränderungen, die im Elektroenzephalogramm (EEG) sichtbar waren. Ein tschechisches Forscherteam verglich die Wirkung bei Frauen und Männern und spielte den Probanden nicht nur Mozarts Sonate, sondern auch Haydns Paukenschlag-Symphonie vor. Es zeigte sich, dass die für die Anfälle ausschlaggebenden Erregungszustände im Gehirn bei Frauen stärker abnahmen als bei Männern, fasst Eugen Trinka, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation in Salzburg, die Ergebnisse zusammen.

Gesunde Probanden hören zu

„Wir wollen in Salzburg nun in die Tiefe gehen und untersuchen, was genau in der Musik diesen Mozart-Effekt erzeugt“, sagt Trinka. Noch ist nämlich nicht klar, was die epileptische Aktivität im Gehirn verringert. Es könnte die Sonate im Gesamten oder ein einzelnes Motiv daraus sein. Es könnte auch an der Emotionalität oder an der Wiederholung bestimmter Sequenzen liegen. Um das herauszufinden, werden in einem ersten Schritt gesunde Probanden die Sonate unter genauer Überwachung mittels EEG und Magnetenzephalographie hören. Dadurch wird sichtbar, wie sich die Musik auf die Netzwerkaktivität im Gehirn auswirkt. Werden einzelne Regionen mehr oder weniger aktiviert oder bilden sich neue Vernetzungsmuster?

Die Forscher können die Wirkung aufgelöst in Millisekunden-Zeitabschnitte exakt nachverfolgen. Dadurch lasse sich herausfiltern, ob es einzelne Sequenzen seien, die mehr oder weniger wirken, sagte Trinka. Ergänzt wird das durch mathematische Analysen der Tonsignale sowie musikwissenschaftliche Analysen. In einem nächsten Schritt will der Neurologe mit seinem Team Epilepsie-Patienten die Musik vorspielen, um festzustellen, welche Teile der Sonate genau die Anfälle auslösenden Signale unterdrücken. „In den bisherigen Studien ist die Hördauer als Gesamtheit betrachtet worden, wir wollen das in einzelne Abschnitte gliedern“, sagt Trinka.

Verstehe man erst die Grundlagen des Mozart-Effekts bei Epilepsie besser, könne man das Wissen auch auf andere Krankheitsbilder übertragen, sieht der Mediziner viel Potenzial für Musiktherapie in der Neurorehabilitation: „Wenn man weiß, was genau den Effekt ausmacht, kann man viel gezielter nach Musikstücken suchen, die ähnliche oder noch bessere Wirkung haben.“ Und man könne vielleicht auch einmal – mit oder ohne künstliche Intelligenz – gezielt Stücke komponieren, deren Effekt für bestimmte Krankheitsbilder optimiert sei.

LEXIKON

Der Mozart-Effekt geht auf amerikanische Untersuchungen aus den 1990er-Jahren zurück. Studenten wurde Mozarts Sonate in D-Dur für zwei Klaviere und eine Anleitung für Entspannungstechniken vorgespielt. Die dritte Sitzung bestand aus zehn Minuten Stille. Dann mussten die Probanden Aufgaben aus einem Intelligenztest lösen. Nach Mozarts Sonate waren die Ergebnisse besser als in den anderen Settings. Seither wird die Wirkung des Stücks oft untersucht, unter anderem auch bei Epilepsie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2021)

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