Quergeschrieben

Parlamentarier im Dilemma bei Fragen um Sterben und Gesundheit

Bei der Sterbehilfe gilt nun eine weitgehende „Autonomie“. Bei der Vermeidung einer bestimmten Krankheit hingegen soll es Pflicht und Strafen geben.

Österreichs Parlamentarier haben es derzeit nicht leicht. Auf der einen Seite sollen sie auf Wunsch der Regierung eine Pflicht zur Covid-Impfung beschließen, obwohl diese in Teilen der Bevölkerung auf Skepsis oder heftigen Widerstand stößt. Politisch lässt sich mit einer Impfpflicht bei den Wählern jedenfalls nicht punkten, sondern man kann nur verlieren: Denn jene, die das wollten, sind ohnehin schon geimpft; viele Geimpfte wollen kein Dauerabo; und jene, die das prinzipiell ablehnen, werden den „Impfzwang“ jenen Parteien, die dafür stimmen, übel nehmen und sich bei der nächsten Wahl revanchieren.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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Auf der anderen Seite mussten die Parlamentarier, diesmal auf Anordnung des Verfassungsgerichtshofes, vor wenigen Tagen ein Gesetz beschließen, das die Beihilfe zum Suizid erlaubt. Viele Parlamentarier der Opposition und selbst die Regierungspartei ÖVP hatten keine Freude mit dem schwer umzusetzenden Auftrag der Verfassungsrichter. Das Hauptargument der Kläger war die „Autonomie“ der Sterbewilligen. In einer recht kurzen Begutachtungsfrist wurden Einwände und Verbesserungsvorschläge der insgesamt 138 Stellungnahmen von Experten und Institutionen ignoriert. Heraus kam ein Kompromiss, mit dem kaum jemand zufrieden ist. Den Liberalen geht er nicht weit genug, sie wollen weniger Einschränkungen und noch mehr „Freiheit“ der Suizidwilligen. Laut Gesetz muss eine unheilbare, letztlich zum Tod führende, Krankheit vorliegen oder ein Leiden, das die gesamte Lebensführung beeinträchtigt. Das ist eng und gleichzeitig weit gefasst: Es kann auch eine Depression oder andere psychische Erkrankung, Gebrechlichkeit oder eine Behinderung sein, weswegen andere beim Sterben nun „mithelfen“ dürfen.

Etliche Parlamentarier sehen darin einen „Dammbruch“, denn bisher galt das Prinzip, dass Leben erhalten und nicht Selbsttötung unterstützt werden soll. Denn die an sich berechtigte Autonomie, über sein Leben und Sterben selbst zu entscheiden, hat in diesem Fall einen Haken: Es geht ja um eine weitere Person, die dabei mitwirken soll. Und hier wird es kurios. Es ist etwa genau geregelt, wie das Prozedere von der „Sterbeverfügung“ bis zur Beschaffung des Gifts gestaltet sein muss. Nimmt man allerdings kein Gift, sondern wählt eine Schusswaffe als Tötungsart, die ein Helfer beschafft, ist keinerlei Prozedere vorgeschrieben. Dieses Gesetz, das eine einzelne Klage erzwungen hat, ist jedenfalls ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt: Depressionen nehmen dramatisch zu, allein in Wien haben sich heuer die Suizidversuche unter Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Es ist wahrlich paradox: Auf der einen Seite will der Gesetzgeber die Autonomie von Gesunden außer Kraft setzen, wenn es um eine Behandlungsform bei einer bestimmten Erkrankung geht. Statt Menschen mit Argumenten zu überzeugen, sowie Nutzen und Risiko ehrlich zu diskutieren und abzuwägen, will er eine Impfpflicht mit Strafandrohung durchsetzen. Ob dies vor den Verfassungsrichtern Bestand haben wird, wird man sehen, eine Aufhebung käme jedenfalls viel zu spät. Jene Liberalen, denen die Sterbehilfe nicht weit genug geht, wollen im anderen Fall, wenn man den „Selbstschutz“ verweigert, ganz besonders strenge Strafen.

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