Morgenglosse

Das viel zu kleine Lichtermeer, das trotzdem gut tat

Ein Licht für Zusammenhalt und das Gedenken an 13.400 Covid-Tote.
Ein Licht für Zusammenhalt und das Gedenken an 13.400 Covid-Tote. APA/Florian Wieser
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Die Lichterkette in Wien geriet Sonntagabend nicht so groß wie die bisher größte Anti-Corona-Demo vor zehn Tagen. Aber immerhin 30.000 Menschen wollten ein deutliches Zeichen setzen.

Die Sache war kurz und schnell wieder vorbei. So kurz, dass ein älterer Herr mit Maske und Kerze in der Hand um 19:12 Uhr mitten auf der Ring-Fahrbahn, Höhe Burgtheater, neugierig in die Menge fragte: „Verzeihung, aber war's das jetzt mit der Veranstaltung oder geht es noch irgendwo weiter?“ Und ja, es hätte weitergehen können, wo man doch jetzt schon einmal da war und endlich etwas tun konnte. Auch wenn es nur das Hochhalten einer Kerze, Stirnlampe oder des Smartphones war.

Nach fast zwei Jahren Pandemie, fünf Tage vor dem Heiligen Abend und wer-weiß-wie-viele Tage vor dem nächsten Lockdown wurde der Sonntagabend zur kurzen Chance für ein winziges Zeichen - mit mehreren Botschaften: das Licht zum Gedenken an die mehr als 13.000 Covid-Toten im Land; die FFP2-Maske für das Vertrauen in die Wissenschaft und deren Erkenntnisse. Und drittens der - wegen der getragenen Kerzen oder Handschuhe eher dumpfe - Applaus aus Dankbarkeit für den Einsatz aller Krankenschwestern- und -Pfleger, Ärztinnen und Ärzte.

Wir Geimpfte! Wir Wissenschafts-Gläubige! Wir Dankbare!

So eine friedliche Kerzen-Aktion mag manchen banal erscheinen, kitschig und während einer Pandemie unverantwortlich. Vielleicht auch deshalb  geriet dieses Lichtermeer unter dem Motto #Yeswecare! mit bis zu 40.000 Teilnehmern leider nicht so groß wie die bisher größte Anti-Corona-Demo in Wien am 11. Dezember (44.000 Teilnehmer; zur Erinnerung: Beim Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit im Jänner 1993 waren es 300.000). Enttäuschend. Trotzdem war es wichtig und gut, dass es stattfand. Denn Sonntagabend am Wiener Ring war zu spüren, dass dieses gemeinsame Aufzeigen vielen ein Bedürfnis ist. Auch, um allen Menschen nach den teils aggressiven Anti-Corona-Aufmärschen der vergangenen Wochen zu sagen: Es gibt auch uns, die anderen. Uns Geimpfte! Uns Wissenschafts-Gläubige! Uns, die wir dankbar sind für ein Gesundheitssystem, das noch schlimmere Zustände abfangen kann. Dankbar für medizinisches Personal, das helfen kann. Dankbar für Impfstoffe, die uns gratis zur Verfügung gestellt werden.

Sicher: Auch viele dieser Meereslichter vom Sonntag kritisieren sonst und an anderer Stelle lauter oder leiser einzelne oder alle Maßnahmen der Regierung zur Pandemie-Bekämpfung. Aber ohne Schreie. Hier ging es ein paar Minuten darum, Verhältnismäßigkeit herzustellen und der Öffentlichkeit das andere Bild zu zeigen.

Der Sonntagabend ändert nichts an Omikron und Gesellschaftsspalt. Aber er fühlte sich an wie eine sehr verdiente kurze Rast auf einer langen, sauanstrengenden Bergwanderung. Vielleicht sogar mit gutem Ausblick.

Ergänzung, 20.12., 17:00: Die Polizei betonte am Montag, dass die Zahl von 30.000 Teilnehmern nur eine erste Schätzung Sonntagabend war und sie von mehr Teilnehmern ausgeht. Am Mittwoch, den 22.12. gab sie bekannt, dass es 38.000-40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren. Daher wurden die Angaben im Text dazu geändert.  

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