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"Matrix Resurrections": Zurück in die Unwirklichkeit

Ist das echt? Neo (Keanu Reeves) und Trinity (Carrie-Anne Moss) suchen nach der Wirklichkeit.
Ist das echt? Neo (Keanu Reeves) und Trinity (Carrie-Anne Moss) suchen nach der Wirklichkeit.(c) Warner Bros.
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In „Matrix Resurrections“ kämpft Keanu Reeves erneut gegen die Fake-Realität. Mehr als ein Déjà-vu.

Es ist so viel einfacher, die Realität zu begraben, als Träume zu entsorgen, steht in neongrünen Lettern auf der Toilettenwand. Es handelt sich um ein Zitat aus „Americana“, dem Debütroman von Don DeLillo – einem düsteren Gesellschaftsporträt voller hellsichtiger Medienkritik. Thomas Anderson (Keanu Reeves) betrachtet den Schriftzug eingehend. Er erinnert ihn an etwas, da ist er sich sicher, er weiß nur noch nicht genau, woran. Ein paar Szenen später geht ihm diesbezüglich ein Licht auf, in Form einer spektakulären Explosion. Und einer wilden Schießerei. Die sein Großraumbüro in ein Schlachtfeld verwandelt, auf dem Kugeln in Zeitlupe anmutig die Einrichtung zerfetzen.

Willkommen zurück in der Matrix: dem virtuellen Schauplatz jener Filmtrilogie, die elegant wie keine andere verkopften Philosophieunterricht und scharfe Systemkritik mit atemberaubenden Action-Schauwerten verbunden hat. Zumindest der erste Teil – die beiden anderen gelten noch immer als gescheitert: verschwurbelte und überfrachtete Fadgas-Granaten, die schwarze Trenchcoats und Sonnenbrillen (modische Markenzeichen des Sci-Fi-Kultstreifens aus dem Jahr 1999) schlagartig wieder uncool gemacht haben.

Gefangen in der Digitaldimension

Den beachtlichen Abdruck des ersten „Matrix“-Films in der Popkulturgeschichte konnten sie aber nicht ungeschehen machen. Kurzzeitig hielten wir uns alle für Gefangene einer parasitären Digitaldimension, die uns unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Lebenskraft raubte. Und glaubten, ihr mit Kung-Fu-Kicks und (alt-)klugen Sprüchen Paroli bieten zu können. Ersteres hat sich zumindest ein Stück weit bewahrheitet. Weshalb sich nun sogar Stimmen mehren, die auch die Fortsetzungen der dystopischen Fiktion als unterschätzte Films maudits einstufen – und ihre Rehabilitierung fordern. Ist die Zeit also reif für „The Matrix Resurrections“?

Eine müßige Frage: Alles, was heutzutage an wiedererkennbarem geistigem Eigentum nicht niet- und nagelfest ist, wird von der Filmindustrie aufgewärmt und neu verpackt. Die Auferstehung von „Matrix“ war unabwendbar. Nun, kurz vor Weihnachten, ist es so weit: Der vierte Matrix-Teil startet am Donnerstag in den Kinos. Regie führte Lana Wachowski, die damals, als sie noch Larry hieß, zusammen mit ihrer Schwester Lilly (einst Andy) beim Originalfilm hinter der Kamera stand.

Hatte die Regisseurin nichts Besseres zu tun, als diese Neuauflage zu betreuen? Mögen wir uns wundern. Schließlich können die Wachowski-Schwestern auch abseits ihrer berühmtesten Schöpfung ein achtbares, wenn auch durchwachsenes Œuvre vorweisen. Die kunterbunte Anime-Hommage „Speed Racer“ etwa. Das zusammen mit Tom Tykwer realisierte Epos „Cloud Atlas“. Oder die weltumspannende Serie „Sense8“, die ihrer Zeit bis heute voraus ist. Wozu also zurück zum Ursprung?

Der vierte Film liefert folgende Erklärung: weil die Firma Warner Brothers die Matrix-Reihe sonst nach eigenem Gutdünken neu aufgesetzt hätte, ohne die Urheber. Deren Vertrag wäre einfach gekündigt worden. Behauptet jedenfalls ein aalglatter Anzugträger (Jonathan Groff), der verdächtig an die bösen Systemwächter aus dem Original erinnert. Er spricht zwar von einer Videospielmarke, doch die Anspielung ist unmissverständlich.

Ein Meta-Witz, der in seiner frechen Direktheit zeigt, dass den „Matrix“-Machern nichts mehr zu blöd ist. Das ist, wie so oft, Fluch und Segen in einem. Wer sich vom neuen Film eine konsistente Atmosphäre erwartet, die an die Vorgänger anschließt – oder den Wow-Effekt der damaligen Spezialeffekte –, sollte besser zu Hause bleiben. Wer indes kein Problem mit bunten Kostümen, Selbstironie und Sentiment hat, könnte durchaus auf seine Kosten kommen. Keine Angst: Für Kung-Fu ist nach wie vor gesorgt.

Auch die Matrix geht mit der Zeit

Altstar Keanu Reeves ist auch wieder dabei. Seit seinem Auftritt als Kampfkunst-Messias Neo in „Matrix“ hat er sich als Anführer einer anderen Trilogie („John Wick“) erneut zur Männerikone gemausert. In „The Matrix Resurrections“ spielt Reeves einen Game-Designer, der von Tagträumen geplagt wird. Was wollen ihm diese erzählen? Nichts, meint sein freundlicher Therapeut (Neil Patrick Harris). Doch die Erinnerung bahnt sich ihren Weg – und es ist kein Spoiler, zu sagen, dass wieder einmal nichts ist, wie es scheint.

Wobei auch die Matrix mit der Zeit gegangen ist. Einst wurde die Menschheit noch mit Daten manipuliert, erläutert ein Bösewicht. Bis er merkte, dass Gefühle viel wirksamer sind. Fakten seien den „Schlafschafen“ nämlich egal. Dass der Film mit solchen Begriffen hantiert, dass er in einem „Lockdown“ der Matrix Massenhysterie walten lässt, macht ihn vielleicht anschlussfähig für die Querdenkerszene. Das war jedoch auch schon beim Original der Fall. Dabei war das Werk der Wachowskis nicht verschwörungstheoretisch, sondern kulturkritisch grundiert, näher an Jean Baudrillard und Guy Debord als an Xavier Naidoo.

Dieser Matrix-Teil prangert nun Fake News, Kreativwirtschaft und „Trigger Warnings“ an. Und plädiert zugleich für Emanzipation: Trinity (Carrie-Anne Moss) spielt hier eine tragendere Rolle als im Original. Sie ermuntert uns am Ende, einfach weiterzuträumen. Nur bitteschön besser als vorher.

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