Überleben, um zu erzählen

Zofia Nałkowska schrieb als eine der Ersten literarisch über Konzentrationslager.

Eine kleine Frau mit schwarzer Augenbinde, ihr Glasauge wurde falsch angepasst; sie ist erst 35 Jahre alt, hat aber keine Zähne mehr und nur noch ein Auge. Ihr anderes Auge hat sie verloren, als die Deutschen 1943 Silvester feierten und zum Spaß herumschossen; 65 Menschen sind dabei gestorben. Ihre Goldzähne hat sie sich selbst herausgerissen – für einen Zahn bekam sie 80 Złoty und konnte sich genug Brot kaufen, um zu überleben. Und überleben wollte sie, um alles zu erzählen: „Damit die Welt weiß, was sie getan haben.“

Zofia Nałkowskas Erzählband „Medaillons“ ist voll von solchen Geschichten, knapp und genau, nichts bleibt abstrakt, alle Details erscheinen in Großaufnahme: die Frau, die aus dem Deportationszug gesprungen ist und nicht fliehen kann, weil sie sich das Knie verletzt hat. Nur ein Mann hat Erbarmen mit ihr – er gibt ihr Milch und eine Zigarette, danach folgt er ihrer Bitte, sie zu erschießen, denn die Polizisten sind dazu nicht imstande. Oder der Mann, der sieht, wie seine Frau und seine beiden Kinder aus dem Vergasungswagen geworfen werden. Er legt sich auf die Leiche seiner Frau und bittet, erschossen zu werden. Die Männer tun es nicht. „Ein Deutscher sagte: ,Dieser Mensch ist stark, er kann noch eine Zeit lang arbeiten.‘“

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