Entnetze dich!

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Sich vernetzen heißt, Beziehungen zwischen Knotenpunkten herzustellen, zu pflegen und zu vermehren. Das werden rasch sehr viele. Manchmal zu viele.

Das Netzwerkfieber begann in den frühen 2000er-Jahren: Je mehr Vernetzung (des Individuums, der Organisation), desto besser. Bald wurde das selbstreferenziell: Man vernetzte sich, um vernetzt zu sein. Und um sich noch mehr vernetzen zu können. Wer da nicht mitspielt, mit dem stimmt etwas nicht, schlussfolgert Julian Horx im aktuellen Zukunftsreport. Kein gepflegtes LinkedIn-Profil, keine 24/7-Messenger-Verfügbarkeit, kein Smart-Home voller IoT-Geräte: Was ist falsch an dieser Person?

Exzessive Vernetzung hat auch negative Folgen. Von Zoom-Bore bis Hass-Postings, von Zusammenbrüchen wegen des Zwangs, täglich eine Insta-Story hochladen zu müssen, bis zum digitalen Burn-out, von sinnlos überlasteter Infrastruktur bis zu mitlauschenden Sprachassistenten und perfekt personalisierter, aber trotzdem unerwünschter Werbung: Wie findet man das richtige Maß, psychisch wie ökonomisch?

Konzept der losen Koppelung

Laut Horx heißt die Lösung nicht, aus den Netzen auszusteigen, sondern innerhalb der Netze temporäre Inseln der Entnetzung und Verlangsamung zu finden. Das kann das Stilllegen des alten Facebook-Accounts sein oder ein Rückzugsraum innerhalb der Organisation, in dem kategorisch nicht kommuniziert wird. Ziel ist, bewusst zu entscheiden, an welchen Punkten weniger Vernetzung angebracht ist und an welchen eine bewusstere.

Im unternehmerischen Kontext reichen die Strategien von einer Reduktion sinnloser Meetings (wie oft haben wir das schon gehört?) bis zu neuartigen Organisationsstrukturen, die „loser gekoppelt“ sind, deren Verbindungen zwischen Elementen und Teilen gelockert sind, um sie anpassungsfähiger und resilienter zu machen.

Kritik an der New World of Work

Horx' Kritik richtet sich auch gegen das Primat des Open Offices, einstmals Inbegriff der neuen, vernetzten Arbeitswelt. 15 Jahre lang gegen alle Bedenken der Mitarbeitenden eingeführt, belegen Studien nun, dass Open Offices nicht zu mehr Austausch, sondern zu mehr Rückzug führten: „Die Zahl der persönlichen Begegnungen sank um etwa 70 Prozent, Menschen vermeiden Blickkontakte oder schirmen sich mit Kopfhörern ab.“ Inzwischen würden Open Offices wieder rückgebaut, um ungestörte Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Plan: Mitarbeitende können sich zurückziehen, um besser arbeiten zu können, Meetings werden verkürzt, um besseren Output zu schaffen. Wichtig ist, so Horx, dass die Entnetzung keine individuelle Aufgabe ist, sondern strukturell ermöglicht wird. Seine Kernfrage: Wo ist die Vernetzung sinnvoll und wo ist sie zum Selbstzweck geworden?  

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