Impfpflicht

Fake-Shitstorm gegen Ursula von der Leyen

Meeting of the College of Commissioners at EU headquarters in Brussels
Meeting of the College of Commissioners at EU headquarters in BrusselsREUTERS
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Wie sich eine Falschmeldung nach Aussagen der EU-Kommissionspräsidentin zur empfohlenen Impfpflicht entwickelte und wie sie sich verbreitete.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gilt bei ihren Aussagen als besonders vorsichtig. Starke Worte wie ihr Vorgänger, Jean-Claude Juncker, meidet sie. Umso überraschender war eine Nachricht in Onlinemedien und sozialen Netzwerken, wonach sie sich im Zusammenhang mit der Impfpflicht für eine Abschaffung des Nürnberger Kodex ausgesprochen habe. Der Kodex ist eine ethische Richtlinie für medizinische Experimente an Menschen. Er war Teil der Urteilsbegründung des Nürnberger Ärzteprozesses, die am 20. August 1947 verlesen wurde. Der Prozess richtete sich gegen ehemalige KZ-Ärzte und Verantwortliche des Deutschen Reichs im Nationalsozialismus.

Von der Leyens angebliche Aussage wurde etwa von „The Post Millennial“ als „schockierend“ bezeichnet. Die Online-Nachrichtenseite bezog sich auf ein BBC-Interview mit der Kommissionschefin. Mimikama, eine Plattform zur recherchierten Prüfung von Fake News, ging dem Fall nach und kam zum Schluss, dass es hier nicht einmal ein Körnchen Wahrheit gibt. Von der Leyen hat in einem von der BBC ausgestrahlten Beitrag betont, dass sie sich persönlich eine Debatte über Impfpflicht wünsche. Sie sprach weder von einer von der EU verordneten Impfpflicht noch erwähnte sie das Thema Nürnberger Kodex.

Doch wie kam es dazu, dass sich eine solche Nachricht dennoch verbreitet? Der Weg ist wie bei vielen Fake News lang. Und die virale Verbreitung hängt mit großer Wahrscheinlichkeit damit zusammen, dass die Nachricht für einen Teil der Gesellschaft zum einen logisch erscheint und zum anderen die eigenen Vorurteile untermauert.

Nach dem BBC-Bericht am 1. Dezember setzte Jordan B. Peterson, ein kanadischer Psychologe, der für seine Kritik an political correctness bekannt ist und viele Anhänger in rechten Kreisen hat, einen Tweet ab. Darin verbreitete er eine Nachricht von Michael P. Senger, einem Anwalt, der behauptete, Ursula von der Leyen habe kurz nach der Ankündigung der österreichischen Regierung, eine Impfpflicht einzuführen, die Aufhebung des Nürnberger Kodex gefordert, um eine solche Vorgangsweise für alle europäischen Regierungen zu erleichtern.

Ungeprüft übernahmen das neben „The Post Millennial“ auch deutschsprachige Onlineplattformen, verwiesen wurde dabei mehrfach auf den BBC-Beitrag, in dem von der Leyen das nie gesagt hatte. Es wurde auch nicht klargestellt, dass Impfungen nicht im Widerspruch zum rechtlich unverbindlichen Kodex stehen, da es bei getesteten und zugelassenen Vakzinen nicht um Versuche am Menschen geht, wie sie Josef Mengele für die Nazis durchgeführt hatte, sondern um eine Hilfe vor schweren Erkrankungen. Eine solche Verknüpfung wäre problematisch, da sie die Verbrechen des Dritten Reiches verharmlost. (APA/wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2021)

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