Film

"Ein Festtag": Letzter Tango in Downton Abbey

Dienstmädchen Jane (Odessa Young) und Adelssohn Paul (Josh O'Connor) in "Ein Festtag".
Dienstmädchen Jane (Odessa Young) und Adelssohn Paul (Josh O'Connor) in "Ein Festtag".(c) ROBERT VIGLASKY PHOTOGRAPHY
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Mit ihrer Graham-Swift-Verfilmung „Ein Festtag“ versucht Eva Husson, biederes britisches Heimatkino zu französischer Freizügigkeit zu verführen. Sinnlich und originell.

Während sich im französischen Kino der letzten Jahrzehnte ein Trend zu Filmen voller Sinnlichkeit und Gewalt abzeichnete (man denke nur an „Titane“, den heftigen Autosexfilm von Julia Ducournau, der heuer in Cannes gewann), begann man zeitgleich im Vereinigten Königreich, die Epoche der zugeknöpften Klassengesellschaft um die Jahrhundertwende zu rekonstruieren. Heritage (also: Herkunft) heißt dieses während der Thatcher-Ära entstandene britische Heimatkino. Es geht darin vor allem um Adlige und Bedienstete vom Land, auch Serien wie „Downton Abbey“ können dem Genre zugerechnet werden.

Die französische Regisseurin Eva Husson versucht sich nun mit „Ein Festtag“ an einer Synthese dieser so unterschiedlichen Moden. 2016 erregte sie mit einem schonungslosen Drama über freizügige Teenager Aufsehen („Bang Gang“), und auch in ihrem jüngsten Film rückt sie Sexualität und Körperlichkeit ihrer Hauptfiguren in den Vordergrund. Weil diese jedoch im prüden Zwischenkriegs-England leben, konkurriert ihre offenherzige Darstellung mit den strengen Sitten der nachgebildeten Epoche.

Wenn Jane (Odessa Young), das Dienstmädchen von Beechwood, hier durch das Anwesen ihres wohlhabenden Liebhabers streift, steht ihre Nacktheit in deutlichem Kontrast zur konservativen Umgebung. Ein Tag im März des Jahres 1924 wird das Leben der jungen Frau verändern. Paul Sheringham (Josh O'Connor) empfängt sie an der Eingangstür zu seinem Schloss. Sie schlafen miteinander, niemand beobachtet sie. Alle sind anderswo, weil „Mothering Sunday“ ist: ein Feiertag, an dem die Bediensteten ausnahmsweise zu ihren Familien dürfen und die Adligen zum Picknick aufs Land fahren.

Nackt durchs Herrenhaus

Ähnlich wie Graham Swift in seiner Romanvorlage zerlegt auch Husson den schicksalhaften Ausflug des Dienstmädchens, der ekstatisch beginnt und tragisch endet, in kleinste Bestandteile und Details. Jede Beobachtung, jede Geste hat Gewicht, ganz gleich, ob sie banal ist oder erotisch aufgeladen. Kleidungsstücke werden lüstern abgestreift und umständlich wieder angezogen – oder bleiben unbeachtet liegen.

Als Paul zu seiner Verlobten aufbricht, die mit den vornehmen Nachbarn diniert, gestattet er Jane, nach dem Beischlaf allein im Haus zu verweilen. Unbedeckt erkundet das belesene Dienstmädchen die Räumlichkeiten, inspiziert die alten Gemälde an der Wand, durchstöbert die Bibliothek – und isst sogar von einer Pastete, die ihrem verwöhnten Geliebten vom Koch dagelassen worden ist. Der einsame Streifzug im Evakostüm lenkt auch unsere Aufmerksamkeit auf das antiquarische Interieur und den exquisiten Zierrat der gehobenen Klasse. Dabei fügen sich die unterschiedlichen Zeitebenen der Handlung subtil zu einem stimmigen Gesamtbild.

Der Nachmittag vergeht, ohne dass Jane etwas vom Warten der Gäste auf Paul erfährt – dem einzigen jungen Mann in der Gemeinschaft, der nicht im Krieg gefallen ist. Auch Janes Arbeitgeber gehören zum erlauchten Kreis. Während Mr. Niven (Colin Firth) eine Hiobsnachricht überbringt, erinnert Mrs. Niven (Olivia Coleman) Jane ungewollt an ihre Unabhängigkeit als Waisenkind: Nie wird sie um Eltern oder Verwandte trauern müssen.

Obwohl sich Janes späteres Liebesleben abseits dienstlicher Abhängigkeiten abspielt, gerät seine filmische Darstellung vergleichsweise enthaltsamer. Aus dem emanzipierten Bohème-Leben, das sie mit einem dunkelhäutigen Philosophen führt, sehen wir nur Ausschnitte, auch aus der Zeit, in der sie als gealterte Schriftstellerin lästige Reporter abwimmelt. Eine interessante Umkehr: In biederer „Howard's End“-Kulisse spielt sich hier eine heißblütige Affäre ab, als wäre es „Der letzte Tango in Paris“. Im verfallenen Künstlerapartment hingegen ein romantisches Melodram unter sittsam Bekleideten.

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