Unruhen

Dutzende Protestierende in Kasachstan getötet

In Kasachstan kommt es nach Gaspreiserhöhungen zu Protesten
In Kasachstan kommt es nach Gaspreiserhöhungen zu ProtestenREUTERS
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Im zentralasiatischen Kasachstan werden die regierungskritischen Proteste offenbar blutig niedergeschlagen. Die Polizei hat Tausene Personen festgenommen. Russland verlegt „Friedenstruppen“ in die früherer Sowjetrepublik.

Bei den massiven Protesten in Kasachstan sind nach Behördenangaben dutzende Demonstranten getötet und mehr als 1000 Menschen verletzt worden. Fast 400 Verletzte würden in Spitälern versorgt, 62 Menschen befänden sich auf der Intensivstation, sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Aschar Guinijat am Donnerstag dem TV-Sender Chabar-24. Nach offiziellen Angaben der Behörden sind allein in der Millionenstadt Almaty etwa 2000 Menschen festgenommen worden. Die Festnahmen dauerten an, teilte die Polizei nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Tengrinews mit. Unklar war zunächst, wie viele Menschen landesweit in Gewahrsam genommen wurden.

Ein von Russland geführtes Militärbündnis entsandte auf Bitten des kasachischen Präsidenten die ersten "Friedenstruppen" in das Land. Es seien Fallschirmjäger als Teil einer Friedenstruppe entsandt worden, meldeten mehrere russische Staatsagenturen am Donnerstag übereinstimmend unter Berufung auf die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Kasachstan hatte das Militärbündnis um Hilfe gebeten.

In der Nacht hatte bereits der armenische Premierminister Nikol Paschinjan auf Facebook gepostet, dass die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen schicken werde. Die Soldaten sollten für einen begrenzten Zeitraum entsandt werden, "um die Lage in dem Land zu stabilisieren und zu normalisieren", hieß es. Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokajew hatte zuvor das Militärbündnis um Hilfe gebeten. Bei den am Wochenende ausgebrochenen Unruhen handle es sich "nicht um eine Bedrohung, sondern um eine Untergrabung der Integrität des Staates", sagte er.

Präsident spricht von Terror

Tokajew sagte, die hinter den Protesten stehenden "Terrorgruppen" würden "im Ausland" ausgebildet. Auch OVKS-Präsident Paschinjan erklärte, die Unruhen seien durch "äußere Einmischung" ausgelöst worden. In Russland waren zuvor Vorwürfe laut geworden, dass die USA bei den Protesten eine Rolle spielten. US-Regierungssprecherin Jen Psaki wies dies als "absolut falsch" und "eindeutig Teil des russischen Drehbuchs für Desinformation" zurück.

Die Behörden schalteten indes offenbar neuerlich das Internet im Land ab, um die Protestbewegung zu schwächen. So waren die Internetseiten des Präsidialamts und anderer Regierungsbehörden in der Nacht auf Donnerstag ebenso wenig zu erreichen wie jene von Flughäfen und Polizeibehörden, meldete die russische Staatsagentur Tass. In der Millionenstadt Almaty gebe es einen kompletten Internetausfall. Schon am Mittwoch war das Internet in dem autoritär regierten Land stundenlang ausgeschaltet gewesen - vermutlich, um die Organisation neuer Versammlungen über soziale Medien zu erschweren.

Kasachischen Behördenangaben zufolge sind bereits mindestens acht Polizisten und Soldaten getötet worden. Mehrere kasachische Telegram-Kanäle veröffentlichten in der Nacht auf Donnerstag Videos, die militärisches Vorgehen gegen Demonstranten auch im Stadtgebiet der Wirtschaftsmetropole Almaty zeigen sollen. Auf den Aufnahmen sind Schussgeräusche zu hören sowie schreiende Menschen.

Russland will friedliche Lösung

Der für Angelegenheiten ehemaliger Sowjetrepubliken zuständige Ausschussvorsitzende der russischen Staatsduma, Leonid Kalaschnikow, hatte bereits Unterstützung signalisiert. Russland sei zur Hilfe verpflichtet, dafür sei das Bündnis gegründet worden, sagte er der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Dem Bündnis gehören Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan an.

Das russische Außenministerium hatte am Mittwoch zu einer friedlichen Lösung aufgerufen. Probleme müssten "im Rahmen der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bestimmungen und durch Dialog und nicht durch Unruhen auf den Straßen" gelöst werden. "Wir hoffen auf eine rasche Normalisierung der Lage", hieß es.

Auch das US-Außenministerium forderte eine friedliche Beilegung des Konflikts. "Wir bitten alle Kasachen, die verfassungsmäßigen Institutionen, die Menschenrechte und die Pressefreiheit inklusive einer Wiederherstellung des Internetzugangs zu respektieren und zu verteidigen", erklärte der Sprecher des Ministeriums, Ned Price, am Mittwoch. Die USA forderten alle Parteien dringend auf, angesichts des Ausnahmezustands eine friedliche Lösung zu finden, so Price.

China sieht die Unruhen in seinem Nachbarland Kasachstan als "innere Angelegenheit" an. "Wir sind zuversichtlich, dass die Behörden angemessen mit der Situation umgehen können", sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag vor der Presse in Peking. "Wir hoffen, dass sich die Lage stabilisiert und die normale soziale Ordnung wiederhergestellt wird."

Kasachstan und China pflegten eine umfassende strategische Partnerschaft, hob der Sprecher hervor. Auf die Entsendung von Soldaten aus Russland, Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan in das zentralasiatische Land ging Wang Wenbin in seiner kurzen Stellungnahme nicht ein.

Eine Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte in Brüssel, man verurteile Gewalt, Vandalismus und Plünderungen. Zugleich bedauere man den Verlust von Menschenleben. Die Gewalt müsse ein Ende haben. Alle Beteiligten seien zu Zurückhaltung und einer friedlichen Lösung aufgerufen.

Höhere Gaspreise brachten Fass zum Überlaufen

Experten werteten Tokajews Hilferuf als Zeichen, dass er sich nicht mehr auf seine Armee verlassen könne. Als Konsequenz aus den Protesten hatte er bereits am Mittwoch die Regierung entlassen und mit einem harten Durchgreifen gegen Demonstranten gedroht.

Die beispiellosen Proteste in Kasachstan waren aus Unmut über deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen ausgebrochen. Viele Kasachen tanken dieses Gas, weil es billiger ist als Benzin. Viele Demonstranten richteten ihren Unmut auch gegen die Regierung und machten sie für ihre schlechte Lebenslage verantwortlich, weil der Alltag wegen hoher Inflation teurer wurde.

Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt unter anderem an Russland und China. Es ist reich an Öl- und Gasvorkommen. Die Republik ist auch einer der größten Uranproduzenten der Welt. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut.

(APA/Reuters/dpa)

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