Debütroman

Der Dreck unter ihren Stiefeln

(c) Carrie Allen
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Elizabeth Wetmores „Wir sind dieser Staub“ beschreibt ebenso subtil wie brutal die Alltagsgewalt gegen Frauen – nicht nur in den 1970er Jahren in Texas.

Es ist der 14. Februar 1976. Die 14-jährige Gloria Ramírez hängt wieder einmal auf einem Parkplatz in Odessa herum und hofft, dass in diesem Kaff endlich etwas passiert. Und das tut es. Denn Gloria steigt zu dem mit Amphetaminen vollgepumpten Dale Strickland in den Truck. Ab da ist für manche Frauen in Odessa nichts mehr so, wie es einmal war. Für die anderen hingegen bleibt alles so, wie es schon immer war.

Elizabeth Wetmore hat mit ihrem vielbeachteten Debütroman „Wir sind dieser Staub“ ein Buch geschrieben, wie es aktueller nicht sein könnte. Zwar spielt es in den 1970er Jahren in Texas, wo der Öl-Boom besonders viele Psychopathen ins Land gespült hat, doch transzendiert der brutale Umgang mit Frauen als seelenlosen Objekten Zeit und Raum. Darin erinnert die Tatsache, dass 2021 allein in Österreich 29 Frauen ermordet wurden.

Als die geschundene Gloria barfuß drei Meilen durch die Wüste geht und an die Tür von Mary Roses Farm klopft, setzt sie damit eine Kettenreaktion in Gang. Denn die hochschwangere Mary Rose holt die junge Mexikanerin ins Haus, ruft den Sheriff an und stellt sich mit einem Gewehr dem mittlerweile aus seinem Drogenschlaf erwachten Strickland entgegen. Und sie erklärt sich bereit, im Prozess gegen ihn als Zeugin auszusagen.

Aus Angst vor Repressalien all jener, die das Leben eines „anständigen jungen Manns“ nicht wegen einer „mexikanischen Schlampe“ ruiniert sehen wollen, zieht Mary Rose in die Stadt. Dort trifft sie auf Frauen, die alle ihre Bürde zu tragen haben: die ältere Corinne, deren geliebter Mann vor dem Krebs in den Selbstmord geflüchtet ist und die den Tag seither in Whiskey und Zigaretten misst; Suzanne Ledbetter, deren Eltern Trickbetrüger waren und die seither stets auf der Hut vor Verfehlungen ist. „Du darfst niemals nachlassen, nicht eine Sekunde. Wer nachlässt oder nicht aufpasst, rennt gegen eine Laterne“, warnt sie ihre Tochter. Und da ist die elfjährige Debra Ann, die Liebe und Antworten sucht, seit ihre Mutter Ginny eines Tages ins Auto stieg und die Familie in Richtung eines besseren Lebens verließ. 

Flucht bleibt für viele Frauen aus Odessa die einzige Form von Gegenwehr. Denn während es für Männer dieser Gegend viele Arten gibt, zu Tode zu kommen, beschränken sie sich bei Frauen auf drei Möglichkeiten: „Frauen kommen um, wenn sie Krebs kriegen oder den Falschen heiraten oder zu fremden Männern ins Auto steigen.“ Das wissen auch die Kellnerinnen des örtlichen Diners: „Wir gehen jeweils zu zweit oder dritt zum Auto. Wir fahren erst los, wenn wir sicher sein können, dass keine einen Platten oder eine leere Batterie hat. (…) In unseren Handtaschen befinden sich Schusswaffen und Pfefferspray.“ Was im Einzelfall ein Leben retten kann, richtet allerdings nichts gegen die Institutionen und ihre repressive Einstellung gegenüber Frauen aus.

Dennoch ist es allein diese Solidarität, die Frauen stark macht. Elizabeth Wetmore hat die Leben ihrer Protagonistinnen zu einem düsteren Kaleidoskop mit einigen Lichttupfern vereint. Der von Anfang an unwiderstehliche Sog der Erzählung lässt zwar im Lauf des Romans etwas nach, der Stärke von „Wir sind dieser Staub“ tut das allerdings keinen Abbruch. 

Elizabeth Wetmore: „Wir sind dieser Staub“, übersetzt von Eva Bonné, Eichborn-Verlag, 318 Seiten, 22,70 Euro

(c) Verlag

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