Junge Forschung

Die Geheimnisse der Sonne

Die Faszination für Weltraumbilder und ihre Analyse haben Martin Reiss während des Astrophysik-Studiums gepackt – und nicht mehr losgelassen.
Die Faszination für Weltraumbilder und ihre Analyse haben Martin Reiss während des Astrophysik-Studiums gepackt – und nicht mehr losgelassen. Helmut Lunghammer
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Astrophysiker Martin Reiss entwickelte eine präzisere Prognose für das Weltraumwetter. Die technologische Infrastruktur kann so besser vor Sonnenwinden geschützt werden.

Unsere Welt wird immer technologischer. Das bringt neue Probleme mit sich: Denn Satellitennavigationssysteme wie beispielsweise das GPS-System reagieren sensibel auf Veränderungen des Weltraumwetters. „Beim Navigieren rechnen wir mit einer Ungenauigkeit von fünf Metern, wobei etwa ein Drittel dieses Werts auf das Weltraumwetter zurückzuführen ist“, sagt der als Postdoc am Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften in Graz forschende Astrophysiker Martin Reiss.

Sonnenwinde können mitunter sogar Blackouts verursachen, also den großflächigen Ausfall der elektrischen Versorgung. Diese Phänomene bestehen aus Strömen geladener Teilchen, die beim Auftreffen auf das Erdmagnetfeld geomagnetische Stürme auslösen. In einem Worst-Case-Szenario kommen dadurch das Stromnetz und die gesamte elektrische Infrastruktur, wie zum Beispiel Transformatoren in Umspannwerken, zum Ausfall.

Den Sonnenwind modellieren

Im November wurde Reiss im Rahmen der European Space Weather Week im schottischen Glasgow mit der Alexander-Chizhevsky-Medaille ausgezeichnet. „Den Preis habe ich für zwei Forschungsthemen bekommen“, so der 33-Jährige. „Zum einen, weil ich mich eingehend mit dem computerbasierten Modellieren des Sonnenwindes beschäftigt habe, und zum anderen, weil ich mit meinem internationalen Team die Quellen auf der Sonne lokalisieren und die damit verbundenen Unsicherheiten erstmals quantifizieren konnte.“ Für das Optimieren bestehender Modelle sei es wichtig, die Ansätze näher zu untersuchen. „Grundsätzlich haben die Modelle sowohl das Magnetfeld der Sonne als auch die Ausbreitung des Sonnenwindes in unserem Sonnensystem im Blick. Was ich mir erstmalig im Detail angesehen habe, war der Übergang von diesen beiden Bereichen.“

Die Wissenschaft habe das bis jetzt noch nicht untersucht und es habe ihn „einfach interessiert“, was da passiere. Bisherige Forschungen erbrachten Ergebnisse mit konstanten mathematischen Koeffizienten und Beziehungen, die nur ein bis zwei Sonnenrotationen berücksichtigten. Reiss entwickelte indes innovative Algorithmen, die permanent angepasst werden und somit flexibler als bisherige Modelle auf das aktuelle Weltraumwetter reagieren können. Die Präzision der Prognose konnte dadurch um etwa 15 Prozent gesteigert werden.

Eine weitere Arbeit von Reiss ist das Erforschen von koronalen Löchern der Sonne. Es geht hierbei im Wesentlichen um Grundlagenforschung und das bessere Verstehen der Ursachen. „Bei diesen koronalen Löchern sind wir auf der Suche nach den Quellen des schnellen Sonnenwindes, der mit 800 Kilometern pro Sekunde auf das Erdmagnetfeld trifft“, sagt der Forscher. Analysiert werden diese Daten mithilfe von hochauflösenden Bildern, die Satelliten wie etwa der Solar Dynamics Observatory liefern.

„Das Spannende an dieser Arbeit war, dass ich neun internationale Gruppen mit 50 Mitgliedern zusammengezogen und die Ergebnisse miteinander verglichen habe“, sagt der Wissenschaftler. Die Unterschiede seien verblüffend gewesen, denn jede Gruppe verfolgte divergierende Forschungsansätze. Diese Arbeit schuf die Basis, um künftig Standards beim Erforschen der Quellen von Sonnenwinden zu definieren.

Natur malen, Weltraumbilder studieren

Das Geheimnis für seinen Erfolg? Martin Reiss betont, dass er großen Wert auf eine optimale Work-Life-Balance lege. Nur so könne man sich mit Kreativität und Freude den Forschungsaufgaben stellen und offen für neue Ideen sein, findet er. Deshalb skizziert der in Graz lebende Wissenschaftler gern Landschaften oder er besucht mit seiner Lebensgefährtin einen Tanzkurs.

Ausschlaggebend für seine Forschungsarbeit sei übrigens vor allem das große Interesse am Analysieren von Weltraumbildern gewesen, dem er sich in seinem Astrophysikstudiums eingehend gewidmet habe. Denn: „Astronaut wollte ich eigentlich nie werden“, sagt er lachend.

ZUR PERSON

Martin Reiss (33), geboren in Deutschlandsberg in der Steiermark, absolvierte sein Masterstudium in theoretischer und computerorientierter Physik an der Uni Graz mit Auszeichnung. Ebendort promovierte er auch 2017 in Astrophysik. Von 2018 bis 2020 forschte Reiss mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des FWF am Goddard Space Flight Center der Nasa in Greenbelt (USA).

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2022)

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