Proteste

Kasachischer Ex-Premier wegen Hochverrats festgenommen

NUR-SULTAN, KAZAKHSTAN - JANUARY 7, 2022: A peacekeeper is seen by a military vehicle near a checkpoint. Citizens are a
NUR-SULTAN, KAZAKHSTAN - JANUARY 7, 2022: A peacekeeper is seen by a military vehicle near a checkpoint. Citizens are aimago images/ITAR-TASS
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Kasachstans Präsident Tokajew berät sich mit Putin über die EIndämmung der anhaltenen Unruhen. Ex-Premier Karim Massimow ist wegen Verdacht auf Hochverrat festgenommen worden. Deutschland stoppt Rüstungsexporte nach Kasachstan.

In Kasachstan stabilisiert sich nach Darstellung von Präsident Kassym-Schomart Tokajew die Lage nach den Unruhen wieder. Dies habe er in einem langen Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dargelegt, teilte das Präsidialamt in Moskau am Samstag mit. Die beiden Staatsoberhäupter hätten zudem über die Schritte zur Eindämmung der Unruhen in dem zentralasiatischen Land beraten. In der Nacht waren die Sicherheitskräfte erneut hart gegen Demonstranten vorgegangen.

Tokajew habe Putin für das Eingreifen der von Russland geführten Militärallianz OVKS gedankt, erklärte das russische Präsidialamt weiter. Putin unterstütze Tokajews Idee, in den kommenden Tagen in einer Videokonferenz der Verbündeten die weiteren Maßnahmen zu beraten, durch die die Ordnung in Kasachstan wiederhergestellt werden solle. Der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (OVKS) gehören neben Russland und Kasachstan auch Belarus, Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan an. Nach Angaben der Organisation dieser sechs früheren Sowjetrepubliken waren auf Wunsch Tokajews am Donnerstag Friedenssoldaten nach Kasachstan gebracht worden. Sie sollten die kasachischen Sicherheitskräfte unterstützen.

In der Nacht gab es dem Portal Vlast.kz zufolge an mindestens zwei Plätzen der Wirtschaftsmetropole Almaty Schießereien. Es sei zudem zu Explosionen gekommen. Augenzeugen hätten von einem brennenden Auto berichtet. Sicherheitskräfte patrouillierten in gepanzerten Fahrzeugen. Auch in der Nacht drangen unabhängige Informationen von dort nur spärlich ins Ausland. Das Internet war zumindest zeitweise abgeschaltet. Ausländer werden derzeit nicht in die Ex-Sowjetrepublik gelassen.

Ex-Premier Massimow festgenommen

Am Samstagvormittag (Ortszeit) wurde indes laut Behördenangaben Ex-Premier Karim Massimow wegen des Verdachts des Hochverrats festgenommen. Massimow war zuletzt Chef des Geheimdienstes KNB ("Nationales Sicherheitskommitee") gewesen.

Tokajew sprach am Abend von bis zu 20.000 "Terroristen", die in Almaty in mehreren Wellen angriffen. Die "Banditen und Terroristen" seien gut ausgebildet und organisiert. Tokajew hatte den Sicherheitskräften einen Schießbefehl gegen Demonstranten erteilt. Er verteidigte dies in der Nacht auf Twitter, es werde keine Gespräche mit "Terroristen" geben, die Menschen getötet und Gebäude angezündet hätten.

Mindestens 4400 Festnahmen landesweit

Bisher wurden landesweit mindestens 4400 Menschen festgenommen. Das berichtete das Staatsfernsehen.Neue offizielle Informationen über Todesopfer gab es am Samstag zunächst nicht. Zuvor hatten die Behörden von insgesamt mehr als 40 Getöteten gesprochen - darunter auch Sicherheitskräfte. Befürchtet wird jedoch, dass die Zahl - vor allem der zivilen Todesopfer - viel höher sein könnte.

Das an Öl- und Gasvorkommen reiche Land an der Grenze zu China erlebt seit Tagen die schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Auslöser der Unruhen in der autoritär regierten Republik war vor gut einer Woche Unmut über gestiegene Gaspreise. Die Demonstrationen schlugen in - auch gewaltsame - Proteste gegen die Staatsführung um. Viele Menschen sind frustriert über Korruption und Machtmissbrauch im Land.

Das Vorgehen des autoritären Regimes löste im Westen Besorgnis aus. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) rief am Freitag „alle Akteure in Kasachstan auf, zurückhaltend zu handeln und von weiterer Gewalt abzusehen“. Im Kurznachrichtendienst Twitter erklärte er: „Das Recht auf friedliche Versammlung muss immer respektiert werden. Demonstrationen müssen gewaltfrei bleiben.“ Österreich plant derzeit keinen Abzug von diplomatischem Personal. Die Situation werde aber sehr genau beobachtet, so eine Sprecherin des Außenministeriums am Samstag Anfrage. Das Außenministerium steh in „laufendem Kontakt“ mit den im Land befindlichen Österreicherinnen und Österreichern. Derzeit wisse man von „wenigen Dutzend", die sich in Kasachstan aufhalten. Es gehe ihnen gut, hieß es. Zuvor war bereits eine Reisewarnung erlassen worden.

Deutschland stoppt Rüstungsexporte

Wegen des Konflikts stoppte Deutschland Exporte von Rüstungsgütern in die frühere Sowjetrepublik. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die notwendigen Schritte ergriffen, damit Ausfuhren solcher Waren nach Kasachstan nicht mehr erfolgen. Im vergangenen Jahr wurden demnach 25 Genehmigungen für Exporte von Rüstungsgütern nach Kasachstan mit einem Gesamtwert von rund 2,2 Millionen Euro erteilt.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Bündnis und seine Mitgliedstaaten seien sehr besorgt und bedauerten die Todesfälle. Es sei wichtig, dass die Gewalt ende und dass Menschenrechte respektiert würden. Dazu zählte er das Recht auf friedliche Demonstrationen.

USA zieht diplomatisches Personal ab

Angesichts der angespannten Lage in Kasachstan ziehen die USA nicht dringend benötigtes Personal aus ihrem Generalkonsulat in Almaty ab. Aussagen von US-Außenminister Antony Blinken sorgten für einen Schlagabtausch mit Russland. Blinken stellte die Entsendung von russischen Soldaten nach Kasachstan infrage. „Manchmal ist es sehr schwer, Russen wieder aus dem Haus zu bekommen, wenn sie erst mal drin sind“, sagte Blinken am Freitag. Das hätte die jüngste Geschichte gezeigt.

Russland warf ihm am Samstag vor, sich über die tragischen Ereignisse in Kasachstan lustig zu machen. „Wenn Antony Blinken Geschichtsstunden so sehr mag, sollte er folgendes berücksichtigen: Wenn Amerikaner in deinem Haus sind, wird es schwer am Leben zu bleiben und nicht ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden“, schrieb das russische Außenministerium auf seinem Telegram-Kanal. „Das hat uns nicht nur die jüngste Geschichte gelehrt, sondern alle 300 Jahre des Staates Amerika.“

Ex-Langzeit-Machthaber Nasarbajew weiterhin im Land

Der Unmut der Demonstranten richtete sich auch gegen den autoritären Ex-Langzeit-Machthaber Nursultan Nasarbajew. Dieser hat seine Heimat einem Sprecher zufolge trotz der Unruhen nicht verlassen. „Der Führer der Nation hält sich in Kasachstans Hauptstadt Nur-Sultan auf“, schrieb Ajdos Ukibaj am Samstag auf Twitter.

Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, der 81-Jährige habe Kasachstan verlassen, nachdem Präsident Tokajew, ihm den Posten als Chef des einflussreichen Sicherheitsrats entzogen hatte. Nasarbajew stehe in direktem Kontakt zu Tokajew, schrieb Ukibaj. Der 2019 zurückgetretene Ex-Präsident gilt als der eigentlich starke Mann im Staat.

Tokajew ordnete nun einen Tag der Staatstrauer an. Am Montag solle "der vielen Opfer der tragischen Ereignisse in einigen Landesteilen" gedacht werden, berichteten mehrere kasachische Staatsmedien am Samstag.

(APA)

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