Wort der Woche

Rückschläge

Wissenschaft und Technologie machen große Fortschritte. Doch regelmäßig müssen auch gröbere Rückschläge hingenommen werden.

Zum Jahreswechsel wird Bilanz gezogen. Auch in der Wissenschaft ist es üblich, die größten Fortschritte eines Jahres aufzulisten. So kürte etwa die Zeitschrift „Science“ eine auf künstlicher Intelligenz beruhende Technik zur Klärung der Struktur und der Funktion von Proteinen zum „Breakthrough of the Year“.

Viel weniger Aufmerksamkeit erhält indes die Tatsache, dass die Forschungsszene auch Rückschläge hinnehmen muss – und dass bei manchen Technologien etwas kräftig schief läuft. Eine Liste der „Worst Technologies of 2021“ hat das Fachmagazin „MIT Technology Review“ aufgestellt – „Technologien, die nicht funktionieren (oder zu gut funktionieren), Heurekas, von denen wir uns wünschten, dass niemand sie je gehabt hätte, Erfindungen, die von der dunklen Seite des menschlichen Intellekts hervorgebracht wurden“, so die Autoren. Da wäre etwa ein neues Alzheimer-Medikament, das trotz fehlendem Nachweises einer Wirksamkeit zugelassen wurde. Oder ein Algorithmus zur Bewertung von Immobilien, der sich selbst hochlizitiert hat. Oder der Weltraumtourismus, der bald zu einer Überfüllung des Orbits führen könnte. Als besonders schlimm bewerten die Autoren Algorithmen zum Erpressen von Lösegeld durch das Verschlüsseln von Computersystemen („Ransomware“) sowie Schönheitsfilter in diversen Smartphone-Apps, die junge Frauen zugleich abhängig und unglücklich machen.

Diese verfehlten Innovationen reihen sich nahtlos in eine lange Liste gescheiterter Technologien ein. Sehr häufig zählt zu den Gründen des Scheiterns, dass Technologien nur um ihrer selbst willen eingesetzt werden, ohne dabei auf den Kontext zu achten. Übersehen wird dabei, dass Innovationen immer in einen größeren gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmen eingebettet sind. Zu dessen Betrachtung müssen auch andere Forschungszweige, insbesondere Sozial- und Kulturwissenschaften, eingebunden werden.

Das Bewusstsein für die größeren Zusammenhänge wächst aber. Und darin liegt wohl auch einer der Beweggründe, warum die UNO das Jahr 2022 zum „Internationalen Jahr der Grundlagenforschung für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen hat. In den Erläuterungen heißt es: „Anwendungen der Grundlagenwissenschaften sind für Fortschritte in Medizin, Industrie, Landwirtschaft, Wasserwirtschaft, Energieplanung, Umwelt, Kommunikation und Kultur von entscheidender Bedeutung.“ Schlechte oder gar kontraproduktive Technologien sollten jedenfalls der Vergangenheit angehören.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2022)

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