Gastkommentar

Verborgener Machtkampf

Kasachstans Präsident Tokajew nutzt die Proteste in seinem Land, um seinen Vorgänger Nasarbajew loszuwerden.

Lange Zeit blieb Kasachstan aufgrund seiner Größe sowie ethnischer und regionaler Heterogenität stabil und von internen Konflikten weitgehend verschont. Doch die Folgen der Pandemie und der galoppierenden Inflation brachten das seit Jahren volle Fass sprachloser Wut zum Überlaufen. Unerwartet und innerhalb kürzester Zeit breiteten sich die Proteste explosionsartig aus; dies ohne jedwede erkennbare gemeinsame Führung.
Als unmittelbarer Auslöser der Massenproteste diente die unerwartete Verdoppelung der Treibstoffpreise. Die eigentlichen Gründe sind jedoch die soziale Lage der Bevölkerung, die sich seit Jahren verschlechtert, sowie die Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen im Land. Denn die Liste der politischen Missstände im neuntgrößten Staat der Welt ist lang. Weiters häufen sich die Anzeichen dafür, dass vor dem Hintergrund der landesweiten Proteste gewaltsame Machtkämpfe zwischen verschiedenen Elitegruppen um das politische Erbe von Nursultan Nasarbajew ausgetragen werden.Mitreden: Wie sinnvoll sind die neuen Corona-Maßnahmen? Diskutieren Sie mit!

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Tokajews Werk . . .

Vergangenen Mittwoch setzte Präsident Kassym-Jomart Tokajew Nursultan Nasarbajew, der laut Verfassung nach wie vor als „Führer der Nation“ gilt, vom Posten des einflussreichen Vorsitzenden des Sicherheitsrats ab. Ungeachtet seines Rücktritts als Präsident 2019 und der Ernennung Tokajews zu seinem Nachfolger behielt Nasarbajew auf Lebenszeit den Vorsitz im Sicherheitsrat. Auf diese Weise blieb er der informelle Herrscher des Landes. Nun scheinen sich die Dinge zu ändern.
Weiters führte Tokajew wichtige Personalrochaden durch, um die engsten Vertrauten des ehemaligen Machthabers aus der Regierung und dem Sicherheitsapparat zu entfernen, seine eigenen Positionen im ausgebrochenen Machtkampf zu stärken und eine Palastrevolte zu verhindern. Am Mittwoch ersetzte Tokajew den Regierungschef, Askar Mamin, durch seinen Gefolgsmann Alikhan Smailov. Vor allem aber er entließ Karim Masimov, einen langjährigen Wegbegleiter Nasarbajews, den mächtigen Leiter des Nationalen Sicherheitskomitees des kasachischen Inlandsnachrichtendiensts.
Mit der Anrufung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), de facto ein Ruf nach direkter militärischer Involvierung Russlands, versucht Tokajew, aus dem innerelitären Machtkampf als Sieger hervorzugehen. Doch die russische Unterstützung hat einen hohen Preis.

. . . Russlands Beitrag

Die Stabilisierung des derzeitigen Regimes ist das zentrale, aber nicht das einzige Ziel Moskaus. In der aktuellen politischen Krise Kasachstans sieht es die Chance, seine politische und nach Möglichkeit auch militärische Präsenz als Sicherheitsgarant in einem Schlüsselstaat für russische Regionalinteressen dauerhaft auszubauen. Auf diese Weise wird in Zukunft jede kasachische Elitegruppe die russischen Interessen berücksichtigen müssen.
Über viele Jahre versuchte sich Kasachstan aus den Spannungen zwischen dem Westen und Russland herauszuhalten. Im Gegensatz zu anderen postsowjetischen Staaten, allen voran Belarus, hat Nur-Sultan die Widersprüche zwischen dem Westen und Russland nie offen für seine Zwecke instrumentalisiert, versuchte aber, ein Gleichgewicht zwischen kooperativen Beziehungen zum Westen und zu Russland (und China) aufrechtzuerhalten. Diese ausgewogene Außenpolitik dürfte in Zukunft angesichts des wachsenden Einflusses Russlands in der Region nur schwer zu erreichen sein.

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