Gesellschaft

Das Fahrrad wird zum Statussymbol

Das Statussymbol Fahrrad ist retro, urban und nachhaltig.
Das Statussymbol Fahrrad ist retro, urban und nachhaltig. Getty
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Retro, urban und nachhaltig. Zwischen Technik-Schnickschnack, Marken-Streetwear und Nobel-Kaffemaschinen hat sich das Fahrrad mittlerweile einen Fixplatz unter den Statussymbolen der gebildeten urbanen Mittelschicht erobert.

Um rund 20 Prozent mehr Radfahrerinnen und Radfahrer verzeichnete der Verkehrsclub Österreich im Frühjahr 2020 auf Wiens Straßen im Vergleich zum Jahr davor. Ein ordentliches Plus, das sind immerhin um ein Fünftel mehr, das sich vor allem auf die Coronapandemie zurückführen lässt, gewinnt doch die Fahrt mit dem Fahrrad angesichts voll besetzter U-Bahnwaggons gerade in Zeiten gesteigerter Sensibilität gegenüber ansteckender Krankheiten einiges an Attraktivität.

Wer den Drang zur kostengünstigen Fortbewegung an der frischen Luft aber mit der Pandemie allein erklären möchte, der irrt. Längst schon prägt das Fahrrad das Straßenbild europäischer Städte, und zwar nicht nur als effizientes Transportmittel, sondern auch aus Ausdruck eines Lebensstils: Während das Auto für junge Generationen kaum noch ein Objekt der Begierde darstellt, symbolisiert das Fahrrad Fortschrittlichkeit, Flexibilität und Umweltbewusstsein. Wo früher über Motorenleistung fachgesimpelt wurde, bespricht man nun Titan- oder Carbonrahmen. Das Rad taugt längst nicht mehr nur in studentischen Kreisen als Besitztum, das Eindruck schindet und macht sich nicht nur im Naherholungsgebiet, sondern auch vor Galerien, Kinos und Hipster-Kaffees gut. Die Coronapandemie hat hier keinen Trend ausgelöst, sondern allenfalls verstärkt.

Mit dem Fahrrad durch die Stadt

Dass es sich beim Griff zum Fahrrad um einen längerfristigen Trend handelt, zeigt eine Mobilitätsstudie der Universität Köln. Ihr zufolge hat der Radverkehr in Deutschland sogar um 40 Prozent zugenommen und das innerhalb der letzten 30 Jahre. Eine Entwicklung, die letztlich auch Eingang in politische Entscheidungen findet: In den europäischen Großstädten Paris, Mailand und London wird städtische Radinfrastruktur längst großgeschrieben, Stadtentwicklungsprojekte haben hier ehemalige Autostraßen zu begrünten und fußgängerfreundlichen Radstraßen umgewidmet - mit großem Erfolg.

Nicht zuletzt steht das bekanntlich umweltfreundliche Radfahren auch auf der Agenda der EU-Kommmission. Der Plan der EU bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, beinhaltet auch ein Neudenken städtischer Infrastruktur, um den Umstieg aufs Fahrrad noch einfacher zu machen. Das „Efficient and Green Mobility Package“, so der Name des Entwurfs, könnte schon bald Geschichte schreiben, in dem es Radfahren und Zufußgehen europaweit zur politischen Priorität macht. 

Umweltbewusste Selbstverwirklichung

Die Politik trägt hier also einem längerfristigen Trend Rechnung, der, wie alle Modeerscheinungen belustigende Ausmaße annimmt. So sind etwa maßangefertigte Fahrräder keine Seltenheit mehr, und Marken, die sich auf den urbanen Markt spezialisiert haben, bestechen durch ungewöhnliche Rahmenmodelle oder Materialien wie Kupfer. Da können einem im Stadtbild auch schon einmal Fahrräder unterkommen, die zumindest preistechnisch dem Kleinwagen um nichts nachstehe.

In die gleiche Kerbe schlägt auch das Ergebnis der Mobilitätsstudie aus Köln. Sie zeigte einen starken Zusammenhang zwischen Radmobilität und Bildungsniveau. Stadtbewohnerinnen und -bewohner mit Matura radelten 2018, also weit vor Corona, rund 70 Minuten pro Woche, doppelt so viele wie noch im Jahr 1996. Eine ähnliche Entwicklung bei Menschen ohne höheren Schulabschluss im ländlichen Raum gibt es laut der Studie nicht.

Fahrradtrend und Bildung hängen zusammen

Ein Verkehrsmittel wird immer auch danach ausgewählt, was es symbolisiert. Ein teures Auto bedeutet auch heute noch, dass man es sich leisten kann, kann aber auch als fehlendes Umweltbewusstsein gelesen werden. „Beim Fahrrad ist es genau umgekehrt. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen laufen meist nicht Gefahr, dass sie als arm oder beruflich erfolglos wahrgenommen werden – selbst dann, wenn sie mit einem günstigen Rad unterwegs sind“, sagte der Soziologe Ansgar Hudde über seine Forschung gegenüber Deutschlandfunk. „Sie können mit dem Fahrrad vielmehr an Status gewinnen, wenn sie sich als modern, gesundheits- und umweltbewusst zeigen.“

(chrima)

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