Film auf Disney+

Kindesmissbrauch, Umweltzerstörung - und ein Monster mit Geweih

Antlers
AntlersKimberly French
  • Drucken

In seinem Horrorfilm „Antlers“ erzählt Regisseur Scott Cooper („Crazy Heart“) von schweren Themen – in atemberaubenden Bildern. Produziert hat den Film der Monster–Meister Guillermo del Toro. Das sieht man: jetzt auf Disney+.

Die Berge, um deren Flanken Wolkenfetzen ziehen, verdunkeln den Himmel über einem kleinen Städtchen in Oregon. Jahrzehntelang hat hier der Kohleabbau für bescheidenen Wohlstand gesorgt, mittlerweile wird in der Tiefe der feuchten Stollen nur mehr Crystal Meth gekocht. Nach zwanzig Jahren im sonnigen Kalifornien zieht Julia (toll: Keri Russell) zurück in dieses ihr Heimatdorf, zurück in das Haus ihrer Kindheit, in dem sie von ihrem Vater missbraucht wurde. Vielleicht sind es ihre eigenen traumatischen Erfahrungen, die sie für einen ihrer Schüler, den stillen, in sich versunkenen Lucas (eine Entdeckung: Jeremy T. Thomas) sensibilisieren. Die Lehrerin ahnt, dass er sich in einer ähnlichen Situation befindet wie sie damals. Doch sie irrt. Es ist viel schlimmer.

Scott Cooper, Regisseur von finsteren Charakterstudien wie „Crazy Heart“ und „Black Mass“, grundiert seinen ersten Horrorfilm „Antlers“ ostentativ in einer Realität der randständigen Menschen und Orte, weit entfernt von funkelnden Metropolen und Postkartenbildern. Zerfurchte Gesichter, ausgemergelte Körper, die sich durch die trostlose Gegend mit verbarrikadierten Läden und verfallenen Häusern schleppen, alles getaucht in das wenige trübe Licht, das sich durch die Wolkendecke schiebt: Es scheint, als sei die Welt schon untergegangen.

Julia scheint sich als Einzige nicht abfinden zu können mit der Tristesse. Sie will Lucas – und so auch ein Stück weit sich selbst – retten. Doch sein Vater wurde beim Meth-Kochen in der Mine von etwas angefallen und ist seither verändert, verwandelt, mutiert zum Menschenfresser. Später wird eine Kreatur aus seinem Körper herausbrechen, mit Knochen aus Steinkohle und einem riesigen Geweih auf dem grausigen Schädel. Es ist der Wendigo, ein Mythos amerikanischer Ureinwohner, viele Jahrhunderte alt und entwickelt aus den (wahren) Geschichten über unersättliche europäische Kolonisten, die alle First Nations des Kontinents unterdrückt und ausgebeutet haben.

Der Wendigo in voller Pracht

Die grelleren Genre-Ausdrucksmittel von „Antlers“ sind für den Regisseur ein Brennglas, unter dem man die Verwüstung, Verrohung und Verarmung der gegenwärtigen USA lupenrein erkennen kann (und auch soll). Die durchlöcherten Berge, die vor sich hin rostenden Wellblechhallen, die ausgelaugte Erde, all das weist auf den Raubbau an der Natur hin, ist aber auch Allegorie der unerschöpflichen menschlichen Gier.

Man merkt schon, Coopers Film ist überladen, und nicht immer glückt die Balance zwischen schweren Themen – von Kindesmissbrauch bis Umweltzerstörung – und einer geschwinden Erzählung. Zusammengehalten wird „Antlers“ schließlich von der atemberaubenden Kameraarbeit des Deutschen Florian Hoffmeister, der das häufige Nachtschwarz mit diversen Lichtquellen aus Taschenlampen oder rot-blauen Polizeileuchten zerschießt, sowie von den Schauspielern: Keri Russells leise, nuancierte Julia und im Besonderen Jeremy T. Thomas als Lucas sorgen dafür, dass man trotz einiger erzählerischer Unebenheiten bis zum Finale bei der Geschichte bleibt.

Da darf sich der Wendigo dann in voller Pracht zeigen – und wer um die Monsterliebe von Meisterregisseur und „Antlers“-Produzent Guillermo del Toro weiß, wird nicht überrascht sein, dass dieser beim Entwurf der Kreatur selbst mitgewirkt hat.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.