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"Beatrix": Endlich ein guter Coronafilm!

Diese Füße sind nicht zum Herumhetzen gemacht: „Beatrix“ (Eva Sommer) lässt die Seele baumeln.
Diese Füße sind nicht zum Herumhetzen gemacht: „Beatrix“ (Eva Sommer) lässt die Seele baumeln.(c) Sixpackfilm
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Was tun wir, wenn wir nichts tun wollen? „Beatrix“, das Kinodebüt von Milena Czernovsky und Lilith Kraxner, bietet ein sehenswertes Fallbeispiel - in Form einer jungen Frau, die ziellos in einem Haus herumlümmelt.

Gesellschaftliche Teilhabe ist ein zweischneidiges Schwert. Wer ein Sozialleben führen, politisch an der Gestaltung seiner Daseinsumstände mitwirken oder auch nur die Annehmlichkeiten des Gemeinwesens in Anspruch nehmen will, kommt daran nicht vorbei. Doch der Preis ist ein gewisses Maß an Selbstaufgabe: Ohne Anpassung an Gebräuche und Gepflogenheiten, die uns als ungeschriebene Übereinkünfte ein halbwegs unkompliziertes Zusammenleben ermöglichen, wird man für die Mehrheit stets ein Außenseiter bleiben – eine Bedingung, die oft im Clinch mit der freien Entfaltung des eigenen Ichs steht.

Je nachdem, wie man dieser Tatsache gegenübersteht, wird man auch die Titelfigur des Films „Beatrix“ wahrnehmen. Wer soziale Normen eher als beengend empfindet, mag in ihr einen nonkonformistischen Freigeist erkennen. Wer indes zu Pragmatismus tendiert, wird angesichts ihrer Marotten vor allem befremdet sein.

Dabei macht Beatrix, eine leicht entrückte junge Frau, eigentlich nichts Besonderes. Man könnte sogar sagen, dass sie überhaupt nichts macht. Außer in einem Haus, das sie für eine andere hütet, herumzulümmeln. Hier kann sie sich ohne Gegenwehr ausbreiten: sich in Leiberl und Unterhose durch die Zimmer bewegen, Marillen aus der Dose essen, lustlos fernsehen oder am Handy herumdrücken. Trauben im Bauchnabel auf und ab heben, genüsslich Senf von den Fingern schlecken, im Garten auf einem Gymnastikball balancieren. Unbeobachtet schlägt sich die Zeit am schönsten tot!

Nur nichts „Gescheites“ machen

Es gibt auch ein paar (mehr oder weniger) sinnvolle Aufgaben, die Beatrix (hin und wieder) in Angriff nimmt: staubsaugen, Blumen gießen, das Backrohr putzen. Aber sie könnte das alles ebenso gut bleiben lassen. Letztlich handelt es sich nur um Ausweichmanöver, Selbsttäuschungen oder Vorwände, um nicht die Dinge zu tun, die andere – etwa ihre Eltern, die sich einmal kurz am Telefon melden – von ihr erwarten. Was genau, lässt der Film offen. Vielleicht den Abschluss einer akademischen Arbeit? Oder einfach nur etwas „Gescheites“? Mit dergleichen tut sich Beatrix schwer.

Wie auch mit anderen Menschen. Zwar achtet sie genau auf ihr Erscheinungsbild, richtet sich penibel vor dem Spiegel her, wenn sich Besuch anmeldet, drapiert sorgfältig Studienbücher auf dem Tisch. Doch wenn die Stimmung nicht stimmt, wird die Selbstbeherrschung geschasst. Eine Freundin, die Beatrix zum trinkseligen Beisammensein für sich allein will, kommt zusammen mit ihrem Freund. Also benimmt sich die Gastgeberin beim gepflegten Smalltalk auf vergnügliche Weise daneben, bis dieser Freund genervt das Weite sucht – und das verbliebene Duo zu „Stand by Me“ auf dem Bett hüpfen und in der Badewanne pofeln kann. Einen Bekannten, dem Beatrix beim Videocall amouröse Hoffnungen macht, weist sie vor Ort ab. Warum? So halt.

Selbst gegen Ende, als die asozialen Entfremdungstendenzen der Protagonistin ins Wahnhafte kippen, enthält sich der Film jedes Urteils. Diese Unvoreingenommenheit, gepaart mit feinem Gespür für das ästhetische Potenzial von vermeintlichem Leerlauf und belebt vom nonchalant körperbetonten Schauspiel der Performancekünstlerin Eva Sommer, hat „Beatrix“ in kurzer Zeit vom Geheimtipp zum international gefeierten Festival-Faszinosum gemacht. Es wurde nach Marseille und New York geladen und bei der letzten Viennale mit einem Jurypreis bedacht. Umso beachtlicher, als es sich um das Kleinbudget-Debüt eines jungen österreichischen Regiedoppels handelt: Milena Czernovsky und Lilith Kraxner.

Verwahrlosung oder Verweigerung?

Vergleiche mit Klassikern des filmischen Minimalismus (etwa mit Chantal Akermans Hausfrauen-Alltagsstudie „Jeanne Dielman“) lassen die zwei nur mit Vorbehalten gelten. Das visuelle Konzept ihres Films sei nicht zuletzt einem „Mangel an technischem Wissen“ entsprungen, wie sie der „Presse“ für ein Porträt 2021 erzählten. So wurde bewusst auf bewegte Bilder verzichtet, nur natürliches Licht kam zum Einsatz, der Drehort durfte vom überschaubaren Team nicht verlassen werden: Das klingt beinahe nach „Dogma 95“. Künstlerisch unbedarft sind die gebürtigen Steirerinnen Kraxner und Czernovsky aber nicht. Kraxner studierte Film (wie auch einige andere Mitglieder des „Beatrix"-Teams) an der Schule Friedl Kubelka und an der Akademie der bildenden Künste, Czernovsky stammt aus einer Theaterfamilie. Beide haben sich bei größeren Produktionen als Szenenbildnerinnen verdingt.

„Beatrix“ eignet handwerklich rundum eine bemerkenswerte Professionalität: Die luftigen Bilder der Kamerafrau Antonia de la Luz Kašik betören mit seidigem Schmelz und kräftigen Farben auf körnigem 16-Millimeter-Material. Die Ausstattung arbeitet mit markanten Farbakzenten und wirkt zugleich authentisch, der gemessene Schnitt zeugt von gutem Rhythmusgefühl.

Insgesamt fügt sich „Beatrix“ formal und inhaltlich durchaus in ein vertrautes Beuteschema von zeitgenössischen Festivals. Was den Film aber über den Durchschnitt hievt, ist seine interpretative Offenheit. Ist Beatrix ein abschreckendes Beispiel für die Wohlstandsverwahrlosung der westeuropäischen Jugend? Oder ein heldenhafter Bartleby, eine feministische Verweigerungskünstlerin, die sich mit Untätigkeit überkommenen Rollenmustern entzieht? Sollen wir sie bemitleiden oder ihr nacheifern? Und, nicht zu vergessen: Als Porträt eines (teil-)isolierten Schwebezustands ist „Beatrix“ auch ein Coronafilm – einer der wenigen bisher, die zu sehen sich lohnt.

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