Geschäftsmodell

Eine Mietwohnung ist Gold wert

(c) Marin Goleminov
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Die Miet- und Kaufpreise in Österreich steigen schneller als die Einkommen. Ein Grund für die rasante Steigerung sind Investoren, die ihr Geld in Wohnimmobilien anlegen und die Preise in die Höhe treiben.

Im Dezember 2018 findet in Wien eine Konferenz unter dem Titel „Housing for all“ statt. Sämtliche Regierungsmitglieder von europäischen Metropolen nehmen teil sowie internationale Expertinnen und Experten. „Die Geschwindigkeit und der Umfang, in dem Finanzakteure und Fonds Wohnraum und Immobilienmarkt übernehmen und damit dazu beitragen, dass Wohnen nicht mehr leistbar ist, sind schlichtweg atemberaubend“, sagt Leilani Farha, damals UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, in ihrer Keynote. Sie zeichnet ein düsteres Bild des globalen Wohnungsmarktes, der von Investoren übernommen und der Bevölkerung entzogen wird. Ihr Appell lautet: „Wohnen ist ein Menschenrecht, dem sich Regierungen weltweit verpflichtet haben. Wohnstrategien müssen im Gesetz verankert und Wohnraum als soziales Gut anerkannt werden – so wie es in Wien gemacht wird.“

Nicht nur Farha nennt Wien ein Vorbild für andere Städte. Nahezu alle Redner verweisen auf die Bundeshauptstadt, wo Wohnen im Vergleich zu anderen Metropolen für die breite Bevölkerung leistbar sei. Drei Jahre später, im Oktober 2021, bestätigt eine Studie der Arbeiterkammer die Redner von damals. Während in London 62 Prozent und in Berlin die Hälfte der Bevölkerung durch die Wohnkosten überlastet sind, sind es in Wien lediglich 18 Prozent. Überlastet meint demnach, dass mehr als 40 Prozent des Einkommens für das Wohnen ausgegeben wird. In Wien ist Wohnen im Verhältnis zu anderen Metropolen somit leistbarer, auch wenn der Wohnungsmarkt für Investoren, die Farha zufolge die Preise in die Höhe treiben, attraktiv ist.

Wiener Wohnimmobilien für Investoren attraktiv

Wie beliebt Wien ist, zeigt eine Umfrage unter 400 europäischen Investoren, die das deutsche Meinungsforschungsinstitut Kantar im Oktober 2020 durchgeführt hat. Sie nennt Wien als drittbeliebtestes Ziel für Immobilien-Investoren in Europa. Nur Berlin und London sind attraktiver. Mit belastbaren Zahlen unterstreicht dies das internationale Rechercheprojekt „Cities for Rent“, das 2021 aufgedeckt hat, wer wie viel in die europäischen Großstädte investiert. Allein im Jahr 2020 wurden demnach 63 Milliarden Euro in größere Wohnimmobilien in europäischen Metropolen gesteckt. In Wien wurden zwischen 2007 und 2020 über elf Milliarden Euro für Investorenprojekte ausgegeben. Damit belegt Wien den fünften Platz hinter Paris, Amsterdam, London und Berlin.

In vielen europäischen Großstädten stammen die Investmentfirmen aus anderen Ländern, allen voran aus den USA. In Wien sind viele bekannte heimische Banken und Investmentfirmen tätig. Am meisten investiert hat jedoch der deutsche Immobilienkonzern Vonovia. Mit 1,2 Milliarden führt dieser die Liste vor der UniCredit und der Erste Bank an.

Der größte Wohnimmobilienkonzern Europas

Der größte Investor in Wien, Vonovia, agiert in Deutschland, Schweden und Österreich. Es ist zugleich der größte private Wohnungskonzern Deutschlands. Der zweitgrößte hört auf den Namen Deutsche Wohnen. Vonovia hat sich mittlerweile 60 Prozent der Aktien von Deutsche Wohnen gesichert, womit einer Übernahme nichts mehr im Weg steht. Damit wird Vonovia zum größten Wohnimmobilienkonzern Europas. Das bedeutet: mehr als 500.000 Wohnungen im Wert von 80 Milliarden Euro. In Deutschland sind Deutsche Wohnen und Vonovia umstritten. Zum einen wegen ihrer Marktmacht, zum anderen, weil Mieter mit ihren Konditionen unzufrieden sind. In Berlin hat das im September 2021 zu jeder Menge Aufruhr geführt. Mehr als die Hälfte der Berliner stimmte in einem Volksentscheid für die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“.

In Österreich kaufte Vonovia 2017 für 2,7 Milliarden Euro Conwert mit 24.500 Wohnungen, davon 2400 in Wien. Ein Jahr später die Buwog Group für 5,2 Milliarden Euro mit rund 50.000 Wohnungen. „Im Neubau sind wir der größte und aktivste Bauträger in Wien. Wir bauen frei finanzierte Mietwohnungen, aber auch geförderte“, sagte Vonovia-Vorstand Daniel Riedl im Oktober 2021 im Interview mit der „Presse“. Die Nationalbank warnte im Jahr 2021 des Öfteren vor einer Überhitzung des Immobilienmarktes in Österreich. Riedl teilt diese Einschätzung nicht: „Ich war lang genug im Osteuropa-Geschäft tätig, um Überhitzung zu erkennen. Im Sinne davon, dass Leute Wohnungen kaufen, diese sechs Monate später ungenutzt um 20 Prozent teurer weiterverkaufen, zu 100 Prozent von Banken finanziert, davon passiert hier nichts. Wohnungen werden nicht spekulativ gekauft, um sie leer stehen zu lassen. So schnell steigen die Preise nicht.“

Thomas Ritt, Ökonom und Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen der Arbeiterkammer Wien, sieht das anders: „Man muss nicht einmal vermieten, um jedes Jahr Gewinn zu machen“, schreibt Ritt in einem Blogbeitrag für das Magazin „Arbeit & Wirtschaft“ im November 2021. Theoretisch führe in einem freien Markt mehr Angebot als Nachfrage zu einer Preissenkung. „Seit 2016 sind in Wien jedes Jahr gleich viele oder deutlich mehr Wohnungen gebaut worden, als vom Bevölkerungswachstum her notwendig gewesen wären. In dieser Zeit sind die Preise von Eigentumswohnungen um 25 Prozent gestiegen und die Mietzinse bei Neuvermietung um fast 15 Prozent. Ein funktionierender Wohnungsmarkt hätte bei so einem deutlichen Überangebot mit deutlich sinkenden Preisen reagieren müssen“, schreibt Ritt, der die Investorenprojekte als „betonierte Sparbücher“ bezeichnet.

Kaufpreise steigen trotz eines Überangebots in ganz Österreich

Eine Analyse der österreichischen Nationalbank (OeNB) bestätigt ein Überangebot von Wohnraum nicht nur für Wien, sondern für ganz Österreich. „Im Jahr 2021 wird nach OeNB-Schätzungen österreichweit mit einem kumulierten Überangebot von knapp 40.000 Wohneinheiten gerechnet“, heißt es in der im November veröffentlichten Arbeit. Auch die OeNB weist darauf hin, dass das Überangebot „preisdämpfend“ wirken sollte. „Die dennoch zu beobachtenden starken Preisanstiege dürften von der hohen Nachfrage nach Wohnungen zu Nichtwohnzwecken (Investitionsmotiv) getrieben worden sein, die in dieser Schätzung nicht enthalten sind. Es liegen keine offiziellen Daten zur Immobiliennachfrage nach Anlagezwecken vor. Nach Auskünften von Maklern ist diese Nachfrage in den letzten Jahren jedoch stark gestiegen“, analysiert die Nationalbank.

Zahlen der Statistik Austria vom September 2021 zeigen, dass die Wohnimmobilienpreise die vergangenen zehn Jahre stets gestiegen sind, und zwar unabhängig davon, ob Stadt oder Land. „Die Preise auf dem Wohnimmobilienmarkt haben in der ersten Jahreshälfte 2021 weiter angezogen. Mit einem Plus von 10,7 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2020 lag der Preisanstieg bei Häusern und Wohnungen deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre von 6,1 Prozent. Günstige Kredite und die weiterhin kräftige Nachfrage ließen die Preise ansteigen, und das unabhängig davon, ob Haus oder Wohnung, Stadt oder Land“, meint Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas bei der Publikation der Zahlen. Eine Immobilie als Geldanlage hat somit in den letzten zehn Jahren in ganz Österreich jährlich an Wert gewonnen, auch ohne sie zu vermieten.

StatAustria Immobilienpreise
StatAustria Immobilienpreise

Mietpreise steigen schneller als Einkommen

Nicht nur die Kaufpreise, auch die Mietpreise sollten mit einem Überangebot sinken, schreibt Ritt in seinem Blogbeitrag. Dennoch ist bei den Mietpreisen in Österreich ebenfalls keine Entlastung zu beobachten. Die niedrigen Mieten im geförderten und sozialen Wohnbau drücken die Mieten im privaten Mietsektor zwar nach unten, dennoch sind die Mieten in allen Segmenten in den letzten Jahren gestiegen. Besonders Personen, die keinen Zugang zu geförderten Wohnungen haben, sind von den Entwicklungen betroffen. In Österreich kostet die Miete pro Quadratmeter im privaten Sektor durchschnittlich 2,45 Euro mehr als in geförderten Wohnungen. Bei einer durchschnittlichen Wohnung, die der Statistik Austria zufolge 100 Quadratmeter groß ist, ergibt das rund 250 Euro im Monat und fast 3000 Euro Mehrkosten im Jahr.

Die allgemeine Preisentwicklung und die Einkommen steigen zwar mit den Mieten, Letztere ziehen aber davon: Das durchschnittliche Einkommen eines Haushalts hat sich nach einer Erhebung der Arbeiterkammer von 2017 zwischen 2008 und 2016 um 22 Prozent erhöht. In der gleichen Zeitspanne sind die Bruttomieten um 28 Prozent teurer geworden. Die Situation ist dabei in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich: Die Mieten sind im Westen tendenziell höher und im Osten, mit Ausnahme von Wien, günstiger.

„Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon“

Wie groß der Einfluss der Investoren auf die Miet- und Kaufpreise tatsächlich ist, kann aufgrund fehlender Daten nicht berechnet werden. Der Immobilienmarkt ist für Investoren jedenfalls attraktiv und die Preise steigen in ganz Österreich, trotz eines Überangebots. Das zeigt, dass der Markt nicht funktioniert, wie er funktionieren sollte, und zwingt die Politik zu einer Reaktion.

Die türkis-grüne Regierung möchte mit einem sogenannten Bestellerprinzip die Maklerkosten auf die Besteller, also meist die Vermietenden, übertragen und so die Mieter entlasten. Obwohl es im Regierungsprogramm steht und alle Parteien dafür sind, wurde bisher kein Entwurf vorgelegt. Die Stadt Wien setzt zur Regulierung der Mietpreise auf ihren geförderten und sozialen Wohnbau, in welchem derzeit 62 Prozent der in Wien lebenden Menschen wohnen. Um diesen trotz Investitionen aufrechtzuerhalten, wurde 2018 eine neue Widmungskategorie, die „geförderte Baunutzung“, eingeführt. Bei Projekten in dieser Kategorie müssen zwei Drittel der gebauten Wohnungen gefördert vermietet werden, wobei eine Ausnahmeregelung auch einen kleineren Anteil ermöglicht. Auf Länderebene hingegen rückt der Leerstand in den Fokus. In Salzburg wurde im Dezember 2021 ein fertiger Entwurf für eine Leerstandsabgabe eingereicht, dessen Umsetzung vorerst an den Neos gescheitert ist. 800 Euro für 100 Quadratmeter sollten künftig für leerstehende Wohnräume jährlich bezahlt werden. Tirol und Wien wollen nachziehen. Wie und wann, wird sich zeigen.

Leilani Farha betrachtet das Problem global. In ihrem Film „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ fordert sie eine Grundsatzdiskussion über die Art, wie wir als Gesellschaft mit Wohnraum umgehen. Für sie liegt das Problem darin, dass Wohnungen zum reinen Finanzprodukt werden. Im Film sagt Farha: „Wenn Wohnen zur Handelsware wird, ist das etwas anderes, als wenn Gold Handelsware ist. Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon.“

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