Wohnkosten

Schieflage bei Altbaumieten: Der Kampf um den Lagezuschlag

(c) Marin Goleminov
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Trotz der 2018 erneuerten Lagezuschlagskarte ist häufig unklar, bei welchen Wohnungen ein Zuschlag verlangt werden darf. Ein OGH-Entscheid könnte den Gerichten nun noch mehr Arbeit aufhalsen. Die Mieterhilfe der Stadt Wien und der Mieterschutzverband verlangen eine Sanierung veralteter Gesetze.

Der Lagezuschlag ist eine hart umkämpfte Frage bei Mieten im Wiener Altbau. Er definiert einen Zuschlag pro Quadratmeter, der bei überdurchschnittlicher Lage einer Immobilie verlangt werden darf. 2006 führte das Deregulierungsgesetz zum Einfrieren der Richtwerte. Somit ist der Lagezuschlag eine der wenigen flexiblen Komponenten beim Festsetzen der Miethöhe.

Wolfgang Kirnbauer, Obmann des Mieterschutzverbandes Wien, sieht im Lagezuschlag eine Art Umgehungsstraße des ganzen Richtwertsystems. „Früher war das Verhältnis von Richtwert und Lagezuschlag noch angemessen. Mittlerweile stellt der Lagezuschlag das ganze System auf den Kopf, weil er die Miete häufig verdoppelt“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“.

Die Geschichte des Lagezuschlags

In Österreich herrschte ab 1982 eine Art Kategoriensystem mit Mietzinsobergrenzen bei Altbauwohnungen. Dabei wurden Wohnungen nach wenigen Merkmalen wie Bad, Küche, WC und Gasetagenheizung eingeordnet. Dieses System kämpfte mit Ungenauigkeiten, da sehr unterschiedlich ausgestattete Wohnungen oft in dieselbe Kategorie fielen. 1994 wurde das Richtwertsystem von der Bundesregierung eingeführt. Seitdem gilt für Altbaumieten ein Richtwert pro Quadratmeter, der von verschiedenen Zu- oder Abschlägen beeinflusst werden kann.

Konkret: War vor 1994 für den Mietpreis nur die Ausstattung der Wohnung relevant, wird seither mit dem Lagezuschlag auch miteinbezogen, was um die Wohnung herum geschieht. Bis 2018 wurde der Lagezuschlag nur durch die Grundkosten ermittelt. Kirnbauer kritisiert dieses Vorgehen: „Die Lagezuschlagsberechnung von 1994 ist nicht mehr sachgerecht, weil man damals nicht wissen konnte, dass die Grundkosten dermaßen in die Höhe schießen.“ Vom Lagezuschlag ausgeschlossen waren bis 2018 nur Gründerzeitviertel, also Gegenden mit einem überwiegendem Gebäudebestand von 1870 bis 1917, da dort hauptsächlich Substandard-Häuser zu finden sind.

Lagezuschlagskarte 2.0

2018 änderte ein Entscheid des Obersten Gerichtshofes (OGH) diese Situation, wie Christian Bartok, Bereichsleiter der Mieterhilfe der Stadt Wien, erläutert: „Der OGH hat festgestellt, dass nicht nur die Grundkosten wichtig sind, sondern insgesamt sechs Merkmale.“ Seitdem zählen zusätzlich die Kategorien Bildungseinrichtungen, öffentlicher Verkehr, ärztliche Versorgung, Geschäftslokale und Grünraum in der Umgebung. Deshalb wurde von der MA25 eine neue Lagezuschlagskarte erstellt. Zuvor gab es in 42 Prozent aller Zählgebiete keine Zuschläge, mittlerweile sind es 67 Prozent.

Alle Probleme beseitigt wurden damit freilich nicht: Der Präsident des österreichischen Haus- und Grundbesitzerbundes (ÖHGB), Martin Prunbauer, ortet Mängel in der neuen Lagezuschlagskarte und bezeichnet sie als unlogisch und schwer nachvollziehbar. „Das ist ohnehin nur eine Orientierungshilfe. Die Karte ist nicht rechtlich bindend, da muss von Fall zu Fall überprüft werden“, ergänzt er.

Und Verfahrensfälle gibt es zur Genüge, wie Bartok von der Mieterhilfe aufzeigt: „Die Schlichtungsstelle behandelt etwa 4000 Verfahren jährlich. Diese Zahl ist so hoch, weil die Vermieter sich in der Regel nicht an den Richtwert halten.“ Eine Untersuchung des Wohnungsmarktes von 2020 durch die Mieterhilfe, in der 40.000 Altbau-Inserate ausgewertet wurden, bestätigt Bartoks Behauptung. Der Wiener Richtwert von 5,81 Euro wird konsequent ignoriert: Die durchschnittliche Miete im Altbau liegt stattdessen bei 10,20 Euro. Kirnbauer spricht von einer Veränderung in den Verfahren: „Die Immobilienwirtschaft hat sich die neue Kartografierung nicht gefallen lassen. Viele Verfahren, die früher vor der Schlichtungsstelle geendet hätten, ziehen jetzt vor Gericht, weil die Hauseigentümer mit der Einstufung nicht konform gehen.“

Lagegutachten und ihre Tücken

Bei diesen Verfahren ist die Unberechenbarkeit in den vergangenen fünf Jahren zu einem großen Problem geworden. „Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft, und für mich ist es mittlerweile kaum prognostizierbar, wie es in höherer Instanz ausgeht“, sagt Kirnbauer. Um festzustellen, wer recht hat, wird vom Gericht meist ein Sachverständiger bestellt, der ein Lagegutachten anfertigt. Kirnbauer ortet darin den ersten Systemfehler, da diese Sachverständigen fast immer aus der Immobilienwirtschaft kämen und deshalb nicht die notwendige Neutralität aufweisen würden: „Die sind oft auch Hauseigentümer und würden sich damit selbst ins Knie schießen. Diese Gutachten lesen sich wie Exposés von Wohnungsinseraten.“

Häufig kämen Vermieter schon mit privat in Auftrag gegebenen Gutachten bei Gericht an, führt Kirnbauer aus. Auch Bartok zweifelt an der Neutralität der Gutachten: „Wer zahlt, schafft an.“ Prunbauer vom ÖHGB bestätigt ebenfalls, dass Hauseigentümer zur Voraussicht vermehrt solche Gutachten in Auftrag geben würden.

Geld regiert die Lage

Ein weiteres Problem stellen die Kosten für Gutachten dar, die zwischen 2500 und 7000 Euro rangieren. Wenn Mieter den Rechtsstreit verlieren, müssen sie zusätzlich mit Verfahrenskosten um die 8000 Euro rechnen. „Es gab zum Beispiel einen Fall, bei dem die Schlichtungsstelle eine Überschreitung von 20.000 Euro festgestellt hat. Als das vor Gericht ging, hat sich der Mieter zurückgezogen, weil er Angst vor den Verfahrenskosten hatte. Wir sind bei null ausgestiegen“, erzählt Kirnbauer. Solche Fälle seien keine Seltenheit.

Der 22-jährigen Luisa S.* erging es 2019 ähnlich. Sie versuchte, mithilfe des Mieterschutzverbands Miete zurückzufordern. Die Schlichtungsstelle stellte fest, dass sie um 200 Euro zu viel bezahlt hatte – pro Monat über vier Jahre hinweg. Der Streitwert betrug somit 10.000 Euro.

Vor Gericht wartete der Vermieter mit einem privat eingeholten Lagegutachten auf. „Das war Märchenstunde par excellence“, sagt Kirnbauer, der den Fall begleitet hat. Die Wohnung lag direkt am lärmintensiven Gürtel, doch im Lagegutachten sei dieser ausschraffiert worden. „Der Gutachter behauptete, die sonstige Lage wäre so gut, dass man die dreispurige Straße vor meinem Schlafzimmer nicht im Gutachten anführen könne“, erzählt Luisa S. Da die Studentin ebenfalls vor den Verfahrenskosten zurückschreckte, strebte sie einen Vergleich mit dem Vermieter an. Ihre Miete wurde letzten Endes um 20 Euro gesenkt. Der betroffene Gutachter wurde angefragt, hat aber keine Stellungnahme hierzu vorgebracht.

Bartok kritisiert das derzeitige System: „Wenn man zu seinem Recht kommen möchte, darf das nicht davon abhängen, ob einem ein Damoklesschwert von ein paar Tausend Euro über dem Kopf hängt.“

Die Frage nach der Lage

In den vergangenen Monaten zeigt sich eine Veränderung bei den Verfahren, wie etwa das OGH-Urteil bei einer Wohnung in Wien Josefstadt vom September 2021 zeigt. Ein Gutachten attestierte dort überdurchschnittliche Lage, und das Gericht übernahm diese Entscheidung. In weiterer Instanz hob der Oberste Gerichtshof diesen Beschluss auf, wegen des Verkehrslärms am Gürtel und eines Kriminalitätshotspots an der nahegelegenen U-Bahn-Station.

„Da hat der OGH genau das klargestellt, was sowieso aus dem Gesetz hervorgeht, aber bis dato in der Praxis nicht so war: Ob eine Lage überdurchschnittlich ist oder nicht, entscheidet kein Gutachter, sondern das Gericht. Denn es handelt sich dabei um eine Rechtsfrage“, sagt Kirnbauer. Bartok weist darauf hin, dass Richter gar nicht verpflichtet sind, ein Gutachten einholen zu lassen. Sie könnten sich bei der Beurteilung genauso auf das Gutachten der Schlichtungsstelle beziehen. „Selbst wenn der Vermieter mit einem Gutachten daherkommt, muss das Gericht diese Unterlagen erneut bewerten“, meint er.

Gesetze aus dem Jahre Schnee

ÖHGB-Experte Prunbauer zufolge würde es eine starke Liberalisierung des Mietrechtes brauchen. „Man muss sich vor dem Markt in Österreich nicht fürchten, denn es sind 60 Prozent der Mietwohnungen in öffentlicher Hand. Wer Schwierigkeiten hat, im privaten Sektor an Wohnversorgung zu kommen, kann in diesen 60 Prozent Platz finden“, rechnet er vor. Kirnbauer ist da anderer Meinung: „Der Markt regelt das nicht, der führt zu sehr seltsamen Auswüchsen. Leistbares Wohnen gibt es in Wien kaum, weil die gesetzlichen Obergrenzen nicht mehr greifen.“

Aber auch für Eigentümer sieht Kirnbauer Nachteile: „Die hohen Mieten, die von den Lagezuschlägen gerechtfertigt werden, treiben eine Blasenbildung bei den Eigentumspreisen an.“ Vor allem kritisiert er aber veraltete Gesetzeslagen, denn was als Altbau gilt und was nicht, sei seit 1981 nicht mehr angepasst worden. Für Prunbauer fehlt derzeit für Eigentümer auch eine gewisse Planungssicherheit, wie sie zuvor beim Grundwert noch gegeben war.

Christian Bartok fordert ein neues Mietrecht: „Das 27 Jahre alte System des Richtwertmietzins und insbesondere der Lagezuschlagsanwendung ist veraltet und führt zu großen Verunsicherungen von Mieter und Vermieter. Es braucht endlich ein modernes, kompetentes Mietrecht für alle Wohnformen.“ Bis dahin wird der Lagezuschlag wohl weiterhin hart umkämpft bleiben.

*Name von der Redaktion geändert

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