Literatur

Heimweh wie ein Schweizer Gardist

Barbara Cassin sucht in ihrem Essay „Nostalgie“ nach der Conditio humana.

In Giorgio de Chiricos 1968 entstandenem Ölgemälde „Il ritorno di Ulisse“ sehen wir einen im Ruderboot paddelnden Odysseus auf einer Wasserlache, die sich in einem behaglich eingerichteten Zimmer befindet. Der Meister der metaphysischen Malerei bringt so plakativ die Ambivalenz des Begriffs „Nostalgie“ zum Ausdruck. Die griechische Wortbedeutung des „schmerzenden Heimwehs“ nimmt die Altphilologin und Philosophin Barbara Cassin zum Anlass einer kulturellen Reise. Ausgehend von der vielfach zitierten Irrfahrt des listigen Griechen über das Grundepos des Exils – die Aeneis –, ankert die Französin schließlich bei einer der engagiertesten Intellektuellen und Vertriebenen des 20. Jahrhunderts: Hannah Arendt und ihrem Postulat der Heimat, die keines Bodens bedarf, der Muttersprache.

Wenn wir uns dieser Tage eine Rückkehr in das normale Leben nach der Pandemie erhoffen, so gleicht unsere Befindlichkeit jener des Odysseus. Man träumt vom Ankommen; ist es dann da, erwartet uns zu oft das Unheimliche, das allzu vertraute Schreckliche des Alltags. In diesem „noch nicht“ besteht der Reiz dieser nostalgischen Verpuppung, als zeitliches und räumliches Getrenntsein. Eine Irrfahrt entsteht erst durch die Benennung eines Ziels und das Verpassen desselben; Odysseus als Prototyp des modernen Bürgers, überall und nirgendwo zu Hause. Als ziellos hingegen erweist sich Vergils Aeneas, der dem zerstörten Troja entkommt, als Exilant für Furore sorgt und damit ein eigenes Narrativ des Fremden als Gründer schafft.

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