Retrospektive

Elfi Mikesch: Von Judenburg nach Westberlin

„Verführung: Die grausame Frau“: Teile der Elfi-Mikesch-Retro im Metro Kino können bis 3.2. auch gratis über die Filmarchivs-Homepage gestreamt werden.
„Verführung: Die grausame Frau“: Teile der Elfi-Mikesch-Retro im Metro Kino können bis 3.2. auch gratis über die Filmarchivs-Homepage gestreamt werden.(c) Filmarchiv Austria
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Das Wiener Filmarchiv würdigt bis 2. 2. 2022 die Steirerin Elfi Mikesch, die seit den 1970er-Jahren als Kamerafrau und Regisseurin neue Akzente im deutschen Film setzt.

Dass der dokumentarische Blick die Welt nicht nur abbildet, sondern immer auch neu erfindet, das zeigen nur wenige Filme so eindrücklich wie Elfi Mikeschs „Ich denke oft an Hawaii“ (1978). Die tristen Außenbezirke Westberlins mit ihren Betonhochhäusern und menschenleeren Straßen verwandeln sich hier in die Kulisse eines Gruselfilms – und Carmen, das Teenagermädchen, das Mikeschs Film porträtiert, wird zu einer unnahbaren Vampirin, die es aus unerfindlichen Gründen in die Vorstadtödnis verschlagen hat. Sie scheint von einer unaussprechlichen Sehnsucht erfüllt, nach einer anderen, romantischen, aufregenden Welt, die in Mikeschs Bildern ebenfalls erahnbar wird.

Oder „Was soll'n wir denn machen ohne den Tod?“ (1980): Ein Film über Bewohner (und vor allem Bewohnerinnen) eines Hamburger Altenheims, der, dem Titel zum Trotz, gerade nicht vom herannahenden Ende her gedacht ist. Im Wechsel von farbiger und schwarz-weißer Fotografie zeigt Mikesch – die ihre Laufbahn als Kamerafrau begonnen hat – das Alter als eine Lebensphase, der eine eigene, geheimnisvolle Schönheit innewohnt. Nicht die Gebrechen eines langsam versagenden Körpers interessieren sie, sondern die Potenziale, die sich auftun, wenn der Alltag nicht mehr von Arbeits- und Familiensorgen geprägt ist. Im Zentrum des Films stehen zwei alte Frauen, die im Heim zusammengefunden haben und sich keine großen Gedanken darüber machen, was ihre Beziehung, die fraglos eine Liebesbeziehung ist, konkret bedeutet.

Undogmatisches gegen die bleierne Zeit

Nur zwei von vielen Entdeckungen sind das, die die umfangreiche Retrospektive des österreichischen Filmarchivs (Mikesch wurde 1940 in Judenburg in der Steiermark geboren) zum Werk der nach wie vor rege tätigen Künstlerin bereithält. Einen Schwerpunkt der Schau, die von den späten Siebzigern bis in die unmittelbare Gegenwart reicht (und bis 3.2. teils auch online im kostenfreien „Heimkino“ des Filmarchivs zu sehen ist), bilden die 1980er, Mikeschs produktivstes Jahrzehnt – und eine Dekade, die im deutschen Kino gemeinhin als bleierne Zeit gilt.

Der Neue Deutsche Film, der angetreten war, das Heile-Welt-Kino der 1950er zu beerben, setzte seinerseits gründlich Staub an, das Fernsehen gewann an Einfluss und drängte auf Stromlinienförmigkeit, an den Kinokassen dominierten Blödelkomödien. Mikeschs Werk zeigt allerdings, dass eine solche Verfallsgeschichte zu kurz gedacht ist. Wo der klassische, männlich dominierte Autorenfilm schwächelte, blühten andere Stimmen auf: queeres Kino, neue, undogmatische Feminismen, punkig-subkulturelle Ästhetiken. Besonders in Westberlin formten sich damals lose künstlerische Netzwerke weit abseits des Mainstreams. Dort fand Mikesch, die schon seit 1965 in Berlin lebte,

ihre Heimat. Als Kamerafrau fotografierte sie Rosa von Praunheims frühe AIDS-Polemik „Ein Virus kennt keine Moral“ (1986) und die delirierenden homoerotischen Visionen in Werner Schroeters „Der Rosenkönig“ (1986). In Co-Regie mit Monika Treut inszenierte sie „Verführung: Die grausame Frau“ (1985), eine in kühlen Blautönen schimmernde Erkundung sadomasochistischen Begehrens – mit Peter Weibel als besonders unterwürfigem Sklaven, der seine Herrin darum bittet, ihn als Klo zu verwenden.

Die Kooperationen mit Praunheim, Schroeter, Treut und anderen bleiben auch später eine Konstante in Mikeschs Werk. Kunst ist für die 81-Jährige nicht (oder zumindest nicht nur) Ausdrucksmedium isolierter Individuen, sondern etwas, das Gemeinschaft voraussetzt und herstellt. Nirgendwo wird das deutlicher als in ihrem neuesten Film, der im Rahmen der Filmarchiv-Reihe Premiere feiert: „Straße als Erzählung“, eine moderne Großstadt-Symphonie, vereint Fotocollagen Berliner Graffitikunst mit zeitgenössischer elektronischer Musik, mit einem Rosa-von-Praunheim-Gedicht – und am Ende mit den „Fridays-for-Future“-Protesten. Ein erstaunliches, vor allem erstaunlich optimistisches Werk: Wo sonst allenthalben vom Ausverkauf und von der Gentrifizierung Berlins die Rede ist, führt Mikeschs unermüdlich neugieriger Blick vor, wie viel Widerständigkeit und Eigensinn auch heute noch in dieser Stadt steckt.

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