Leitartikel

Im Zweifel streicheln Deutsche und Österreicher den russischen Bären

Nicht nur Privatwirtschaft: Nord Stream 2.
Nicht nur Privatwirtschaft: Nord Stream 2.Reuters
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Die Zeichen stehen auf Krieg in der Ukraine. Doch die Regierungen in Wien und Berlin weigern sich, ihren Hebel gegen Putin einzusetzen: Nord Stream 2.

An drei Orten, in Genf, bei der Nato in Brüssel und bei der OSZE in Wien, haben russische und amerikanische Unterhändler vergangene Woche über die Megakrise geredet, die sich an der Grenze zur Ukraine zusammenbraut. Ohne Erfolg. Der Westen ist nicht bereit, auf die ultimativen Forderungen Russlands einzugehen. Die Nato lässt sich vom Kreml nicht vorschreiben, wen sie in Zukunft aufnimmt und in welchen Mitgliedstaaten sie Soldaten oder Waffen stationiert. Das will die Allianz, auch wenn ein Beitritt der Ukraine auf absehbare Zeit gar nicht auf der Agenda steht, schon selbst entscheiden. Das wusste Wladimir Putin schon, bevor er der Nato und den USA seine Bedingungen schickte. Der russische Präsident legte es auf den Konflikt an.


Wie er ohne Gesichtsverlust wieder von der Eskalationsleiter herunterkäme, ist ihm vermutlich selbst nicht klar. Vielleicht will er es auch gar nicht und lässt die rund 100.000 Soldaten, die er nahe der Ukraine zusammengezogen hat, tatsächlich ins Nachbarland einmarschieren, holt sich den Donbass und eine Landbrücke zur Halbinsel Krim, die er schon 2014 annektiert hat. Der Preis wäre hoch. Der Westen hat neue Sanktionen angedroht. Doch die Strafen nähme Putin wohl in Kauf für etwas imperialen Sowjetglanz.

Militärisch hätte er nicht viel zu befürchten. Es wäre diesmal zwar, anders als bei der Invasion der „grünen Männchen“ auf der Krim, mit Gegenwehr der ukrainischen Armee zu rechnen. Doch die Nato wird das Bürgerkriegsland nicht verteidigen. Das steht fest. Das Risiko einer direkten Konfrontation mit der russischen Atommacht wäre zu groß. Putin hat weniger Skrupel und deshalb freie Bahn.

Diplomatische Wunder waren auch von der deutschen Außenministerin, Annalena Baerbock, bei Blitzvisiten in Kiew und Moskau nicht zu erwarten. Obwohl ein Krieg in der Ukraine vor der Haustür der EU stattfände, haben die Europäer wie zu Zeiten des Kalten Krieges keinen Platz am Tisch der Großen. Russen und Amerikaner reden über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Für Europa ist das ein Armutszeugnis anhaltender Schwäche.

Geopolitisches Spiel

Viel zu spät versucht sich nun Deutschland ins Spiel zu bringen und das Normandie-Format zu aktivieren, in dem es mit Frankreich, Russland und der Ukraine den nie umgesetzten Minsker Friedensplan für den Donbass auf den Weg gebracht hat. Doch um die Ostukraine geht es diesmal vor allem als Schauplatz für ein geopolitisches Spiel zwischen Russland und der Nato, das eine Ebene höher liegt. Und da hat Deutschland nichts zu bestellen. Hinzu kommt, dass die Berliner Ampelkoalition keine klare Haltung gegenüber Russland hat. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz ist bisher auch deshalb im Schatten geblieben, weil er anders als seine grünen Regierungspartner die Pipeline Nord Stream 2, durch die Gas von Russland nach Deutschland fließen soll, offenbar nicht einmal im Falle einer russischen Invasion in die Ukraine abdrehen will. Zumindest droht er nicht damit.

Ebenso gasgetrieben ist die Position des ÖVP-Teils des Bundesregierung, die sich noch dazu hinter der Neutralität verstecken kann. Außenminister Schallenberg hält es für „verfehlt“, Nord Stream 2, in die auch die OMV Hunderte Millionen Europa gepumpt hat, infrage zu stellen. Die Grünen sind leise. Sowohl Deutschland als auch Österreich geben damit schon an der Garderobe ihren einzigen Hebel ab, mit dem sie Russland unter Druck setzen könnten – allerdings nicht ohne sich dabei selbst Frostbeulen einzuhandeln. Denn wenn die Russen den Gashahn zudrehen, wird es kalt für den Rest des Winters.

Deutschland und Österreich haben es seit der Ukraine-Krise 2005/2006 verabsäumt, Alternativen zu russischem Gas aufzubauen. Im Gegenteil: Mit Nord Stream 2 umgehen sie zwar unsolidarisch die Ukraine, hängen aber weiter am Moskauer Tropf. Strategisches Denken mit Weitblick sieht anders aus. Von Österreich, das den russischen Bären immer wieder hemmungslos umarmt (wie Ex-Präsident Heinz Fischer, der zuletzt in einem Interview ausschließlich Russlands Seite der Geschichte wiedergab), ist nichts anderes zu erwarten. Von Deutschland leider auch nicht.

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