Die ersten genuinen US-Symphonien

Deutsche Grammophon 2022
Deutsche Grammophon 2022DG
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Florence Price, der ersten schwarzen Komponistin, gelang das Missing Link zwischen Antonín Dvořáks »Symphonie aus der Neuen Welt« und der Klassik-Jazz-Melange eines George Gershwin.

Sie war die erste schwarze Komponistin, musikalisch eine Pionierin der genuin US-amerikanischen Musik und es gelang ihr – bei genauem Hinhören – tatsächlich das Missing Link zwischen Antonín Dvořáks »Symphonie aus der Neuen Welt« und der späteren Melange aus Jazz und »Klassik« aus der Werkstatt eines George Gershwin.

Doch erst jetzt kam eine ernstzunehmende Aufnahme zweier Symphonien von Florence Price in den Handel. Yannick Néze-Séguin hat sie mit dem Philadelphia Orchestra für Deutsche Grammophon aufgenommen. Die Erste Symphonie, wie das offenkundig Vorbild aus Dvořáks Feder in e-Moll (!), war im Juni 1933 in Chicago in einem Konzert mit Werken afroamerikanischer Komponisten unter dem Titel »The Negro in Music« uraufgeführt worden und erhielt höchst wohlwollende Kritiken. So hieß es, das Werk sei "tadellos" gearbeitet, verriete "Entschlossenheit und Leidenschaft" und hätte einen Platz im symphonischen Repertoire verdient.

Selbstbewusst in Atlanta

Umso erstaunlicher, dass es nach dem Tod der Komponistin, 1953, fast 70 Jahre gedauert hat, bis man sich wieder ihrer erinnerte. Der Reihe nach: Florence Beatrice Price kam 1887 zu Welt und wuchs im Haushalt eines gutbürgerlichen Zahnarztes in Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas auf. Die gelebte Apartheid der Vereinigsten Staaten in jener Epoche brachte es mit, dass der Vater, Doktor Smith weiße Patienten nur klammheimlich behandeln durfte. Dennoch bekam Florence einen gediegenen Musikunterricht und unterrichtete bald selbst an der Universität von Atlanta. Als Frau des Anwalts Dr. Price wurde sie Mutter mehrer Kinder und brachte in ihrer Freizeit Klavierstücke, Kammermusik, Konzerte und Symphonien zu papie. An eine Komponisten-Karriere war für eine Schwarze damals nicht zu denken.

Amerikanische Symphonik

Die neue CD wird die Musikwelt nun zumindest davon überzeugen, dass es in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts doch mehr handwerklich solide Musik "im Eigenbau" entstanden ist als man bis dato anzunehmen bereit ist. Gewiß sind die Anklänge an Dvořáks berühmte Neunte nicht zu überhören. In ihrer Tendenz, Volkslieder und Volksliedartiges in die Themenbildung ihrer Werke einzubinden, geht Price hie und da bis an die Nähe des Zitats: Das Seitenthema des ersten Satzes ihrer Ersten Symphonie klingt wie das (dort von der Flöte eingeführte) Gegenstück bei Dvořák. Und der langsame Satz beginnt, ebenfalls wie bei

Die neue CD wird die Musikwelt nun zumindest davon überzeugen, daß es in den USA Anfang des XX. Jahrhunderts doch mehr handwerklich solide Musik "im Eigenbau" entstanden ist als man bis dato anzunehmen bereit ist. Gewiß sind die Anklänge an Dvořáks berühmte Neunte nicht zu überhören. In ihrer Tendenz, Volkslieder und Volksliedartiges in die Themenbildung ihrer Werke einzubinden, geht Price hie und da bis an die Nähe des Zitats: Das Seitenthema des ersten Satzes ihrer Ersten Symphonie klingt wie das (dort von der Flöte eingeführte) Gegenstück bei Dvořák. Und der langsame Satz beginnt, ebenfalls wie bei Dvořák mit einem Bläserchoral, hier allerdings auch im "Spiritual-Ton" gehalten. Originell die Einbindung des Schlagzeugs in unerwarteten Momenten. Originell und unverwechselbar "afro-amerikanisch" das swingende Scherzo, ein "Juba Dance" als perfektes Gegenstück zu den entsprechend autochthon-tänzerischen Sätzen in europäischen Symphonien, die in unseren Breiten dann eben (von Haydn über Bruckner bis Mahler) wie Ländler, bei Dvořák dann wie slawische Tänze klingen. Bei Florence Price tanzt eben die Rag-Time-Generation, darf aber im Konzertsaal - anders als auf den Plantagen der Großgrundbesitzer - Schlaginstrumente verwenden...

Die Erste Symphonie klingt mit einer wirbelnden Neue-Welt-Hommage an Tarantella-Finalsätze wie jenen aus Mendelssohns "Italienischer" aus.

Harmonische Abenteuer

Nézet-Séguins Album enthält auch noch die Dritte Symphonie (in c-Moll), die Price auf einer Reise in harmonisch apartere Gebiete zeigt, ohne den amerikanischen Tonfall aufzugeben. Wir nähern uns hier noch mehr dem Idiom Gershwins, symphonisch diszipliniert, wobei der Kopfsatz in einem spannenden Spiel der Kontraste nicht nur harmonisch dank einiger von der Ganztonskala ausgehender Einsprengsel, sondern auch im Tempo zwischen mäßig langsamer und Allegro-Bewegung changiert. Wie ein improvisiertes Spiritual-Medley klingt das folgende Andante. Frech synkopiert dann wiederum das "Juba"-Scherzo, ähnlich im Tripel-Rhythmus vorangetrieben wie das Finale der Ersten auch der Ausklang der Symphonie, der Price wiederum ein "Happy End" verweigert: Auch die Dritte schließt nach einigen innehaltenden Momenten unversöhnlich in herbem Moll.

Alles in allem sollte der Neuerscheinung als musikhistorisches Korrektiv einige Aufmerksamkeit sicher sein.

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