Taxonomie

EU-Vertreter Selmayr warnt Gewessler vor Atomklage

Clemens Fabry
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Österreich sei vom grünen Investment-Label für Kernenergie gar nicht betroffen, behauptet der Leiter der Vertretung der EU-Kommission.

„Wer eine Klage vorbereitet, dessen Argumente werden in der Debatte nicht mehr gehört.“ Martin Selmayr, der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, warnt die Regierung vor rechtlichen Schritten gegen die vorbereitete Brüsseler Entscheidung zur Taxonomie, im Rahmen derer Investitionen in Kernenergie als klimafreundlich eingestuft werden sollen. Der Prozess sei noch nicht abgeschlossen. Noch werde debattiert. Es gehe beispielsweise um Bedingungen, die für derartige grüne Investitionen festgelegt werden müssten.

Sollte Österreich, wie Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) angekündigt hat, tatsächlich dagegen klagen, sieht Selmayr dem gelassen entgegen. „Das wird meiner Ansicht nach so ausgehen wie bei Hinkley Point.“ Er sprach damit eine erfolglose Klage Österreichs vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen staatliche Subventionen für den Ausbau des Kernkraftwerks Hinkley Point an. Damals hatte Österreichs Regierung damit argumentiert, dass Großbritannien durch solche Subventionen den Energiemarkt zugunsten der Atomkraft verzerre. Der EuGH hatte im September 2020 gegen diese Einwände entschieden.

Die Taxonomie lege, so Selmayr, lediglich fest, dass die Finanzierung der Kernkraft für eine Übergangszeit als klimafreundliches Investment gelten kann. „Was bedeutet das für Österreich? Gar nichts“, so der deutsche Diplomat. Brüssel mische sich nämlich nicht in nationale Entscheidungen über die Wahl von Energiequellen ein.

Information für Anleger

Um die von allen Mitgliedstaaten mitgetragenen Klimaziele zu erreichen, müsste massiv in Alternativen zu fossilen Energiequellen investiert werden. Laut Schätzungen der EU-Kommission seien dafür riesige Investitionen von EU-weit 350 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Um das zu erreichen, lege die Taxonomie fest, welche Investitionen privater Anleger beitragen, das Ziel zu erreichen. Es gehe nur darum, festzuschreiben, dass solche Finanzprodukte wie beispielsweise Fonds für Bankkunden exakt ausgeschildert werden. Auch österreichische Anleger würden darüber informiert, worin sie investieren.

Selmayr verwies auf das Beispiel Polen, das große Schwierigkeiten habe, aus der Kohle als primäre Energiequelle auszusteigen. Das Land plant, 2026 mit dem Bau seines ersten Atomkraftwerks zu beginnen. Es soll an der Ostsee in der Nähe von Danzig errichtet werden. Dass sich Österreich mit seinem Widerstand durchsetzt, glaubt Selmayr nicht. Eine klare Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstütze nämlich den Vorschlag der EU-Kommission.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2022)

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