Testessen im Esszimmer

Restaurant Esszimmer
Restaurant Esszimmerbeigestellt
  • Drucken

Im Esszimmer, dem Fine-Dining-Hinterzimmer des Everybody's Darling in der Wiener Innenstadt, treffen eine scharfe Kalabresin, Reinhard Gerer und ein Mittelfinger auf engem Raum aufeinander.

Ein kalkuliertes Instagram-Motiv pro Lokal ist heute Mindeststandard. (Und sollte ein Wirt von all dem noch nie etwas gehört haben, hat er womöglich Maggi­flascherl auf den Tischen, taugt auch für Fotos.) Im Esszimmer, einem räumlich engen Zuwachs im Hinterzimmer der „Tagesbar“ Everybody’s Darling, sind Origami-Kraniche zum Knipsen vorgesehen. Man pflückt sich einen – blau für vegetarisch, pink für Fleisch und Fisch – aus einem Vogelkäfig und muss erst einmal herausfinden, wie man das feste Papiergebilde auffaltet. Dabei gilt es doch bei 22  Uhr Sperrstunde keine Zeit zu verlieren!

Versöhnung mit Ceviche und Maispudding

Küchenchef des Esszimmers ist der auf diversen Fernsehsendern präsente Alexander Kumptner, der auf seiner Homepage davon ausgeht, dass ihn alle kennen. Er sammelte noch bei Werner Matt und Reinhard Gerer Erfahrung. Letzterer ist im Esszimmer gewissermaßen mit von der Partie: Sein berühmter Rollmops vom Lachs mit Fenchelkraut, die Urmutter aller österreichischen „Rollmops von“-Ideen, ist als fischlose Variation Teil des vegetarischen Menüs. Das übrigens genauso viel kostet wie das andere: 100  Euro (Weinbegleitung 60 Euro).

Das Küchenteam – Kumptner war am Testabend nicht anwesend – beherrscht das Handwerk jedenfalls. Auch wenn beim ­Einstieg, einem angeblich gehackten Beef Tatar, das eine Textur wie Streichwurst hat, noch Zweifel aufsteigen. Ceviche vom Carabinero, roter Garnele, kommt samt forciert säuerlichem Sud, begleitet von gebratener Brioche mit einem Klecks Maispudding — Versöhnungsangebot angenommen. Gar überfrachtet ist der Gang aus Gnocchi, Erbsen, Pinienkernen und mehreren Et-ceteras, der noch dazu von einer giftgrünen Teigwabe bedeckt wird. Der Kellner preist nicht nur dieses Gericht in blumigsten Formulierungen an, erwähnt als Gewürz selbst das Salz. „Chambut“ ­entpuppt sich als Steinbutt-Tranche mit Champagner-Beurre-blanc, Topinamburpüree und geschmortem Lauch.

Grammelknödel
Grammelknödelbeigestellt

Beim feingliedrigen (sic!) Grammelknödel aus dem zweiteiligen Hauptgang „Zweimal Schwein gehabt“ kommt die Streichwurst wieder, als scharfe Kalabresin in Form von flüssiger N’duja – steht dem Knödel ausgezeichnet. Das Schweinsbackerl versteckt sich wie beim Herrgottsbscheißerle diskret unter einem Nudelblatt (ist denn schon Fastenzeit?). Am Ende zeigt ein Mehlspeisenklassiker allen seelenlos technoiden Schaum-mit-Eis-Desserts elegant den Mittelfinger. Kann man diesen herausragend guten Rahmschmarren bitte auch untertags haben, liebe Tagesbar?

Info

Esszimmer im Everybody’s Darling, Tuchlauben 22, 1010 Wien

Tel.: +43/(0)664 105 05 50
Do – Sa: ab 18 Uhr

Mehr Kolumnen auf: DiePresse.com/lokalkritiken

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.