Staatsanwaltschaft untersucht 42 Fälle von Fehlverhalten, darunter des früheren Papstes Ratzinger.
Papst Franziskus reagierte nur indirekt auf die Veröffentlichung des Gutachtens zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising: „Die Kirche hat die Verpflichtung, den Opfern von Missbrauch durch ihre Mitglieder Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“. Er forderte eine „strenge Anwendung des Kirchenrechts“.
Das Gutachten, das vom Erzbistum München und Freising in Auftrag gegeben worden war, erschüttert die katholische Kirche: Es kommt zum Schluss, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem größeren Dunkelfeld aus.
Die Staatsanwaltschaft in München untersucht 42 Fälle von Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger, darunter des emeritierten Papstes, Benedikt XVI., in seiner Zeit als Münchner Erzbischof (1977–1982). Die Rolle von Joseph Ratzinger ist besonders brisant: Die Gutachter gehen davon aus, dass er wahrscheinlich „nicht die Wahrheit sagte“. Er hat wiederholt betont, an einer Sitzung 1980 nicht teilgenommen zu haben, in der beschlossen wurde, dass ein Priester, der im Bistum Essen Buben missbraucht hatte, nach Bayern versetzt werden sollte.
Die deutsche Regierung fordert von der Kirche eine rasche Aufklärung. Die Vertretung der katholischen Laien, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, verlangt mehr politische Einflussnahme auf die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche. Präsidentin Irme Stetter-Karp glaubt „nicht mehr, dass die Kirche allein die Aufarbeitung schafft“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2022)