Interview

Schallenberg: "Die Bedeutung der Neutralität wächst"

Außenminister Alexander Schallenberg in seinem Büro am Minoritenplatz. An der Wand hängt ein Werk des Südtiroler Künstlers Klaus Pobitzer. Es zeigt schwarze Tiroler Schützen.
Außenminister Alexander Schallenberg in seinem Büro am Minoritenplatz. An der Wand hängt ein Werk des Südtiroler Künstlers Klaus Pobitzer. Es zeigt schwarze Tiroler Schützen.Die Presse/Clemens Fabry
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Außenminister Schallenberg warnt vor einem neuen Zeitalter der Konfrontation. Im Fall eines russischen Einmarsches in der Ukraine kündigt er rasche und harte Sanktionen der EU an, will den Gassektor davon aber ausnehmen.

Waren Sie erleichtert, als Sie nach zwei Monaten im Bundeskanzleramt wieder ins Außenministerium zurückkehrten?

Alexander Schallenberg: Das war eine unglaublich schwierige und turbulente Zeit, enorm beladen mit Emotionen und auch sehr belastend. Das will ich gar nicht verhehlen. Ich habe den Bundeskanzlerposten nie angestrebt und aus Verantwortungsgefühl übernommen. In den ersten Tagen war innenpolitischer Ausnahmezustand, dann ging es über zum Corona-Ausnahmezustand. Gnadenfrist gab es keine. Als ich auf die Kommandobrücke kam, musste ich schauen, dass das schlingernde Schiff nicht untergeht, die Bundesregierung fortbesteht und Neuwahlen vermieden werden. Das Manöver gelang. Ein dichtes Programm für zwei Monate, sehr viel Kür war nicht dabei.

Haben Sie nach Ihrem Rücktritt als Bundeskanzler daran gedacht, sich ganz aus der Politik zurückzuziehen?

Nein. Ich habe dem neuen Bundeskanzler meinen Posten selbstverständlich zur Verfügung gestellt. Es freut mich, dass ich als Außenminister weitermachen kann. Ich mache den Job wahnsinnig gern und bin mit jeder Faser meines Körpers Teamplayer.

Als Außenminister haben Sie gleich wieder mit einer großen Krise zu tun. Russland hat 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Glauben Sie, dass Europa am Rand eines Krieges steht?

Das Erschreckende ist, dass dieses Szenario momentan nicht abwegig ist. Die Drohkulisse ist leider sehr real.

Russlands Präsident Putin hat Forderungen gestellt, die für die Nato und die Amerikaner offenkundig unerfüllbar sind. Legt er es auf den Konflikt an?

Keiner kann in den Kopf Putins schauen. Wir sind bereit zu einem offenen Dialog auf Augenhöhe mit Russland, aber nicht nach dem Motto: Vogel, friss oder stirb.

Amerikaner und Russen haben in den vergangenen zwei Wochen viermal miteinander verhandelt. Erfolglos.

Dass solche Gespräche nicht im Handumdrehen zu Lösungen führen, ist klar.

Russland pocht auf den fertigen Vertrag, den es auf den Tisch geknallt hat.

Es geht nicht, einfach ein schriftliches Ja zu eigenen Vorschlägen zu erwarten. Mit der Pistole an der Schläfe der Ukraine kann man nicht reden. Aber der russische Vorschlag enthält auch sinnvolle Ideen: Transparenz, Rüstungskontrolle.

Aber für die Nato ist es nicht akzeptabel, das Prinzip der freien Bündniswahl aufzugeben und einen Beitritt der Ukraine explizit auszuschließen. Die Allianz möchte sich von Moskau auch nicht vorschreiben lassen, Soldaten aus Mitgliedstaaten abzuziehen, die früher dem Warschauer Pakt angehörten.

Ein Jalta 2.0, in dem in Europa wie zu Sowjetzeiten über die Köpfe der Völker hinweg Einflusszonen wie auf einem Reißbrett markiert werden, ist undenkbar. Wenn Russland glaubt, seinen Argumenten so wie früher nur mit Panzern und Raketen Nachdruck verleihen zu können, gesteht es damit eigentlich das Scheitern seiner Politik ein.

Können Sie nachvollziehen, dass sich Russland bedroht fühlt durch die Nato-Osterweiterung?

Ich halte das für absurd. Wer ist in Ossetien, in Abchasien, in Transnistrien, im Donbass, auf der Krim einmarschiert? Nicht wir. Es mag schon sein, dass Moskau auch noch 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion Phantomschmerzen hat. Viele Staaten haben im 20. Jahrhundert Imperien verloren: Großbritannien, Frankreich, Deutschland, auch Österreich. Damit kann man anders umgehen.

Militärisch hat Putin freie Bahn. Die Nato wird keine Soldaten in die Ukraine schicken.

Wir wissen nicht, was geschieht. Man hat das Gefühl, dass jemand mit einer Streichholzschachtel neben einem Heuhaufen herumspielt. Es kann ein Brand entstehen, den die Herren nicht mehr unter Kontrolle bringen. Das kennen wir aus der Geschichte.

Mit welcher Antwort der EU muss Putin bei einer Ukraine-Invasion rechnen?

Hinter den Kulissen wird gerade an einem umfangreichen Sanktionspaket im Wirtschafts- und Finanzbereich gearbeitet. Es wird bei einer Eskalation eine sehr deutliche, unmissverständliche und rasche Antwort geben.

Wird ein Ausschluss Russlands vom Bankensystem Swift erwogen?

Nichts ist vom Tisch. Sehr viel wird davon abhängen, was wirklich geschieht. Wenn russische Truppen auf breiter Front in ukrainisches Staatsgebiet einmarschieren, dann ist dies das absolute Worst-Case-Szenario. Es gibt auch andere Szenarien: Cyberattacken, Angriffe von Söldnern ohne Hoheitsabzeichen.

Sie wollen Nord Stream 2 heraushalten aus den Sanktionsdebatten. Ist es denn für Sie wirklich vorstellbar, nach einer russischen Invasion in die Ukraine die Gaspipeline aufzudrehen, als ob nichts geschehen wäre?

Nord Stream 2 ist noch nicht einmal im Betrieb. Zu glauben, dass das Teil einer Drohkulisse sein könnte, ist nicht nachvollziehbar. Ich warne, ein Sanktionspaket als schwach zu bezeichnen, wenn Nord Stream 2 nicht enthalten ist.

Ja, aber warum wollen Sie das von der OMV mitfinanzierte Pipelineprojekt prophylaktisch aus Sanktionen ausklammern, wenn ohnehin noch kein Gas durchfließt?

Wir sind in Europa zu einem gewissen Grad von Energie aus Russland angewiesen. Das ist eine Realität und Nord Stream 2 ist noch gar nicht Teil davon. Das werden wir nicht über Nacht ändern können, wenn wir Wärme und Strom haben wollen. Die Abhängigkeit ist wechselseitig. Die Russen brauchen die Einnahmen aus Ressourcen.

Schon die Gaskrise 2005/2006 hat Europa drastisch vor Augen geführt, wie abhängig es von Russland ist . . .

Daher muss man sich überlegen, ob man den Gassektor in ein solches Sanktionspaket nimmt.

Warum hat Europa seine Abhängigkeit seit 2006 nicht reduziert? Das ist doch ein gewaltiges energiepolitisches Versagen.

Das Pipelineprojekt Nabucco kam leider nicht zustande. Der Anteil erneuerbarer Energie stieg immens. Aber die 2006 angestrebte Diversifizierung fand nicht ausreichend statt. Österreich lehnt Atomkraft ab. Wenn wir Nuklearenergie, Kohle und dann noch Gas aus der Gleichung nehmen, dann haben wir ein Problem.

Mich irritiert, dass Amerikaner und Russen über die Köpfe der Europäer hinweg verhandeln, als schrieben wir noch das Jahr 1988.

Ich verstehe die Sensibilitäten, halte sie aber für falsch. Der Verhandlungsprozess ist gut rückgekoppelt. Europa ist über die OSZE und großteils auch über die Nato eingebunden, und US-Außenminister Blinken kommt am Montag zum EU-Rat. Im Krisenfall sind die USA die Weltmacht Nummer eins in der Gruppe der freien Staaten. Deshalb halte ich es für richtig und angemessen, dass sie als Stimme der freien Welt auch im Interesse Europas mit Russland reden.

Sollten die Europäer direkt nicht am Tisch sitzen? Die Amerikaner sind am Ende weder energiepolitisch noch sicherheitspolitisch direkt betroffen. Die Krise betrifft uns.

Dem widerspreche ich. Es gibt eine dritte Partei, die genau zuschaut: China. Und wenn die Chinesen zum Schluss kommen, dass der Westen militärischen Drohungen nachgibt, dann hätte das weitreichende Folgen.

Dann griffe Peking nach Taiwan.

Es ginge noch weiter: Das Südchinesische Meer ist die Aorta des internationalen Warenhandels.

Gegenüber China erkenne ich auch keine geeinte europäische Stimme. Nicht einmal bei der Frage, ob es einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele geben soll.

Wie Europa mit den Winterspielen umgeht, ist kein tagesfüllendes Thema. Ich bin für ein einheitliches europäisches Vorgehen. Von der österreichischen Bundesregierung hat derzeit niemand die Absicht, die Spiele zu besuchen. Daraus ein Politikum zu machen, wird niemanden beeindrucken. Europa sollte sich nicht mit Symbolpolitik aufhalten. Wenn es ans Eingemachte geht, findet Europa immer eine geeinte Stimme. Das wird auch diesmal in der Russland-Krise der Fall sein.

Wird auch Ungarn mitziehen?

Ich glaube schon. Wenn der Worst Case eintritt, wäre das eine Zäsur. Es wäre der Beginn einer neuen Ära der Konfrontationen.

Das wird sicherheitspolitische Folgen haben. Schon jetzt schielen Schweden und Finnland unter den Nato-Schutzschirm.

Das muss jeder Staat für sich entscheiden. Schweden und Finnland bezeichnen sich als bündnisfrei. Die Schweiz und Österreich sind klassisch neutral.

Ist das nicht der Moment, in dem man überlegt, was die Neutralität noch wert ist?

Nein! Gerade in Krisensituationen können Neutrale wieder eine Rolle spielen.

Welche Rolle spielt Österreich derzeit?

Wir sind Teil der EU, die eine klare rote Linie gegenüber Russland zieht.

Und deshalb halten Russland und die USA ihre Treffen in Genf ab und nicht in Wien, außer sie finden bei der OSZE statt.

Ich glaube schon, dass die Bedeutung der Neutralität im Konfliktfall wächst.

Seit Jahren sitzen zwei Österreicher wegen fadenscheiniger Spionagevorwürfe in Teheran in Haft. Der Iran hält sie offenbar wie Geiseln fest, um sie gegebenenfalls auszutauschen. Wie lang will sich Österreich das noch gefallen lassen?

Es geht um zwei Doppelstaatsbürger, die der Iran als iranische Staatsbürger behandelt, ob es uns gefällt oder nicht. Wir haben de facto keine konsularische Handhabe. Ich hatte mit den Familien Kontakt. Mir ist bewusst, wie schmerzhaft und schwierig die Situation ist. Wir sprechen das Thema bei jedem Treffen mit iranischen Regierungsvertretern an und drängen auf eine humanitäre Lösung. Das Thema betrifft nicht nur Österreich: In iranischen Gefängnissen sitzen etliche Doppelstaatsbürger mit westlichen Pässen. Wir werden uns keinen Erpressungsversuchen beugen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2022)

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