Der ökonomische Blick

Arbeitsmarktreform: Mehr Autonomie für Arbeitslose

APA/HERBERT PFARRHOFER
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2022 soll Österreichs Arbeitsmarktpolitik reformiert werden. Die Politikvorschläge gehen dabei klar in Richtung erhöhtem finanziellen Druck und mehr Sanktionen für Arbeitslose um die Arbeitslosenrate zu senken. Aber ist es wirklich so „einfach“?

2022 soll Österreichs Arbeitsmarktpolitik reformiert werden. Die Politikvorschläge gehen dabei klar in Richtung erhöhtem finanziellen Druck und mehr Sanktionen für Arbeitslose um die Arbeitslosenrate zu senken. Aber ist es wirklich so „einfach“?

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Die Misere der britischen Jobcenter

Im 2016 mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film „I, Daniel Blake“ porträtiert Starregisseur Ken Loach zwei Arbeitslose bei ihrer vergeblichen Jobsuche und die entmenschlichende Behandlung in den britischen Jobcenters. Aufgrund eines Herzinfarkts kann ein Tischler seinen Job nicht mehr ausüben. Weil er wochenlang kein Geld vom Staat erhält, muss er die Einrichtung seiner Wohnung verkaufen. Bei einem nervenaufreibenden Termin im Jobcenter erleidet er letztendlich einen weiteren Herzinfarkt, an dem er stirbt.

Nun sind Sanktionen und Überwachung von Arbeitslosen in Großbritannien strenger als in Österreich und zählen sogar zu den schärfsten der Welt. Während positive Effekte auf die Beschäftigung eher kurzfristig sind, hat diese Praxis hohe soziale und gesundheitliche Kosten: jede zehnte Sanktion wird mit einer zusätzlichen Person mit Depressionen in Verbindung gebracht. In Großbritannien geht man mittlerweile wieder von strengen Sanktionen ab und versucht vermehrt die Stellung von Arbeitslosen zu stärken. Es ist zu hoffen, dass die bevorstehende Arbeitsmarktreform in Österreich diese und andere Studien entsprechend berücksichtigt.

Die Situation in Österreich

Die aktuelle Diskussion zur Arbeitsmarktreform dreht sich vor allem um mehr finanziellen Druck und Sanktionen. Bisherige Reformvorschläge zielen auf eine stärkere Degression des Arbeitslosengeldes, strengere Zumutbarkeitsbestimmungen und Zuverdienstregeln ab. Vor dem Hintergrund, dass neun von zehn Arbeitslosen ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle für Einpersonenhaushalte beziehen, wirken diese Forderungen besonders drastisch.

Ob dieser Zugang überhaupt zu der gewünschten Wiederbeschäftigung führt, ist aus wissenschaftlicher Perspektive jedenfalls unklar, wie Arbeitsmarktökonomin Andrea Weber betont. Eine WIFO-Studie aus 2016 zeigt, dass mehr Sanktionen nicht zu mehr Arbeitsaufnahmen führen, aber oft zum generellen Rückzug aus dem Arbeitsmarkt. Auch die Jobqualität leidet darunter, wenn Arbeitslose gedrängt werden, schnellstmöglich eine Beschäftigung zu finden. Hätten sie mehr Zeit zu suchen, würden sie einen besser bezahlten und stabileren Job finden.

Das Arbeitsmarktservice (AMS)

Ziel des AMS ist laut Arbeitsmarktservicegesetz „die Vermittlung von geeigneten Arbeitskräften auf Arbeitsplätze herbeizuführen, die möglichst eine den Vermittlungswünschen des Arbeitsuchenden entsprechende Beschäftigung bieten.“ Gleichzeitig haben viele Arbeitssuchende negative Erfahrungen: Jede fünfte Person über 50 Jahren oder mit maximal Pflichtschulabschluss gibt an, diskriminierende Erfahrungen mit dem AMS gemacht zu haben. Bei den Anforderungen, aktiv nach einem Job zu suchen, ist Österreich bereits eines der strengsten Länder. Dabei zeigt eine experimentelle Studie in Linz und Wien das Potenzial des AMS: mehr Arbeitsaufnahmen und kürzere Arbeitslosigkeitsdauer sind die Folge eines niedrigeren Betreuungsschlüssels.

Die verpflichtende Teilnahme an AMS Kursen wird außerdem häufig dazu eingesetzt, um Arbeitssuchende zur rascheren Jobannahme zu drängen. Indessen zeigen zahlreiche Studien die positiven Auswirkungen von Kursen auf Beschäftigung, Einkommen und sogar auf psychische Gesundheit. Kurse sollten also weniger zur Sanktionierung, sondern mehr zum Nutzen von Arbeitslosen eingesetzt werden.

Autonomie von Arbeitslosen stärken

Doch wie reagieren Arbeitslose, wenn ihnen mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl von AMS Kursen zugestanden wird? Dieser und anderer Fragen gehen wir in einem Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit dem AMS Niederösterreich im Zuge der Corona Joboffensive nach: Anstatt zu einem AMS Kurs zugeteilt zu werden, bekommen Arbeitssuchende einen Bildungsgutschein im Wert von 15.000 Euro vom AMS zugesandt. Der Gutschein kann lediglich beim AMS für Weiterbildungen eingelöst werden. Der Wert entspricht den Kosten der teuersten AMS Qualifikationsmaßnahme. Damit wird Arbeitssuchenden der monetäre Wert der Kurse vergegenständlicht und sie sollen dazu ermutigt werden, aktiv eine Weiterbildung auszuwählen.

Vorläufige Ergebnisse zeigen eine Steigerung der Teilnahme an Qualifikationsmaßnahmen und auch die vermehrte Wahl von anspruchsvolleren AMS Kursen. Ob dies auch positive Auswirkungen auf Wiederbeschäftigung hat, wird sich im Laufe des Pilotprojekts zeigen.

Von Sanktionen und finanziellem Druck sollte im Zuge der Arbeitsmarktreform jedenfalls Abstand genommen werden. Stattdessen sollte Arbeitsmarktpolitik auf intensivere Betreuung durch das AMS und mehr Autonomie bei der Kurswahl setzen. Die aktuell diskutierte Arbeitsmarktreform wäre eine Chance dazu.

Die Autoren

Lukas Lehner ist Ökonom an der Universität Oxford, wo er zum Arbeitsmarkt forscht. Davor war er für die OECD in Paris und für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf tätig.

Anna Schwarz ist Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Fragen zum Arbeitsmarkt, Geschlechterungleichheit und Bildung.

(c) 2020 WU Wien

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