Missbrauchsbericht

Benedikt XVI. korrigiert eigene Aussage in Missbrauchsgutachten

Archivbild vom Februar 2015 von Benedikt XVI, der nun um Geduld bittet, bis er den Bericht zur Gänze gesichtet habe.
Archivbild vom Februar 2015 von Benedikt XVI, der nun um Geduld bittet, bis er den Bericht zur Gänze gesichtet habe.APA/AFP/ANDREAS SOLARO
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Der Bericht über Missbrauchsfälle in der Münchener Diözese unter Erzbischof Ratzinger bringt den nun emeritierten Papst in Bedrängnis. Ratzinger erklärt, doch an der Ordinariatssitzung 1980 teilgenommen zu haben.

Kehrtwende bei Benedikt XVI.: Der emeritierte Papst hat eingeräumt, bei seiner Stellungnahme für das Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising an einer wichtigen Stelle eine falsche Aussage gemacht zu haben. Laut einem schriftlichen Statement seines Privatsekretärs Georg Gänswein sprach der emeritierte Pontifex von einem "Fehler" und einem "Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung" seiner Stellungnahme.

Benedikt habe - anders als in der Stellungnahme zu dem vorige Woche veröffentlichten Gutachten behauptet - doch im Jahr 1980 als Erzbischof von München und Freising an einer Ordinariatssitzung teilgenommen, bei der nach Überzeugung der Gutachter über einen Priester gesprochen wurde, der mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auffällig geworden war, hieß es in der Stellungnahme, die unter anderem die Kathpress, das Portal "Vatican News" und die Tagespost Stiftung am Montag veröffentlichten.

Jener Priester wurde später in Bayern wieder als Seelsorger eingesetzt und ist einer der zentralen Fälle des Gutachtens, das die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im Auftrag des Erzbistums München und Freising präsentiert hatte. Darin wird Benedikt in insgesamt vier Fällen Fehlverhalten vorgeworfen.

Dreimal Teilnahme verneint

In seiner Stellungnahme zum Gutachten heißt es als Antwort auf die Frage "Haben Sie an der Ordinariatssitzung vom 15.01.XXXX teilgenommen?" eindeutig: "An der Ordinariatssitzung vom 15.01.XXXX habe ich nicht teilgenommen." Insgesamt gibt er in seiner Stellungnahme zu dem Fall des rückfälligen Priesters dreimal an, nicht in der Sitzung dabei gewesen zu sein.

Die Gutachter hatten bei der Vorstellung ihrer Studie am Donnerstag vergangener Woche das Protokoll der Sitzung präsentiert, das ihrer Ansicht nach beweist, dass Ratzinger bei der Sitzung dabei war. Die Aussagen des früheren Erzbischofs dazu bezeichneten die Anwälte als nicht glaubwürdig.

Nun die Kehrtwende bei Ratzinger: Der 94-Jährige wollte bei seiner Korrektur der Aussage "betonen, dass dies nicht aus böser Absicht heraus geschehen ist, sondern Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme war", hieß es in dem am Montag veröffentlichten Statement. "Dieser Fehler tut ihm sehr leid und er bittet, diesen Fehler zu entschuldigen."

Benedikt will Gutachten genau prüfen

Gänswein wollte zudem klarstellen, dass in jener Sitzung vom Jänner 1980 "über einen seelsorgerlichen Einsatz des betreffenden Priesters nicht entschieden wurde. Vielmehr wurde lediglich der Bitte entsprochen, diesem während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen". Benedikt studiere derzeit intensiv das Gutachten und sei seiner früheren Diözese "nahe" und "im Bemühen um Aufklärung sehr verbunden".

Laut dem Gutachten waren mindestens 497 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach - darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das "Hellfeld" - es sei von einer viel größeren Dunkelziffer auszugehen.

In dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wird Joseph Ratzinger vorgeworfen, sich als Münchner Erzbischof (1977-1982) in vier Fällen nicht regelkonform verhalten beziehungsweise angemessen reagiert zu haben.

„Müsste sich für den ganzen Vorgang entschuldigen"

Der Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, zeigte sich enttäuscht über die Reaktion des Papstes auf das Gutachten. Benedikt habe sich nur dafür entschuldigt, dass er eine falsche Angabe zu seiner Teilnahme an einer Sitzung im Jahr 1980 gemacht habe. "Entschuldigen müsste er sich eigentlich für den ganzen Vorgang, denn er ist mit dafür verantwortlich, dass dieser Priestertäter anschließend jahrzehntelang Kinder im Bistum gefährden konnte", sagte Katsch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist ja der eigentliche Skandal."

Es sei ein Muster in der katholischen Kirche, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr bestreiten lasse. "Damit trägt er dazu bei, dass man wirklich das Gefühl hat, man kann ihnen nichts glauben."

"Joseph Ratzinger verstrickt sich immer mehr in seine Lügengebilde und wird auch durch die angekündigte ausführliche Stellungnahme den irreparablen persönlichen Schaden für sich und sein Lebenswerk nicht mehr beseitigen können", sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller. "Er beschädigt damit dauerhaft das Papstamt und damit die katholische Kirche."

Wortlaut

Kathpress dokumentiert die von seinem Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein abgegebene Stellungnahme in vollem Wortlaut:

"Seit Donnerstag Nachmittag liegt Papst emeritus Benedikt XVI. das am gleichen Tag vorgestellte Gutachten der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl als PDF-Datei vor.

Derzeit liest er aufmerksam die dort niedergelegten Ausführungen, die ihn mit Scham und Schmerz über das Leid erfüllen, das den Opfern zugefügt worden ist.

Auch wenn er um eine zügige Lektüre bemüht ist, bittet er sehr um Verständnis, dass die vollständige Durchsicht angesichts seines Alters und seiner Gesundheit, aber auch des großen Umfangs wegen noch Zeit benötigt. Zum Gutachten wird es eine Stellungnahme geben.

Er möchte aber jetzt schon klarstellen, dass er, entgegen der Darstellung im Rahmen der Anhörung, an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen hat.

Die gegenteilige Angabe war also objektiv falsch. Er möchte betonen, dass dies nicht aus böser Absicht heraus geschehen ist, sondern Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme war. Wie es dazu kam, wird er in der noch ausstehenden Stellungnahme erklären. Dieser Fehler tut ihm sehr leid und er bittet, diesen Fehler zu entschuldigen.

Objektiv richtig bleibt aber, dokumentiert durch die Aktenlage, die Aussage, dass in dieser Sitzung über einen seelsorgerlichen Einsatz des betreffenden Priesters nicht entschieden wurde. Vielmehr wurde lediglich der Bitte entsprochen, diesem während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen.

Benedikt XVI. ist gerade in diesen Tagen seiner früheren Erz- und Heimatdiözese nahe und ist ihr im Bemühen um Aufklärung sehr verbunden. Besonders denkt er an die Opfer, die sexuellen Mißbrauch und Gleichgültigkeit erfahren mussten."

(APA)

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