Morgenglosse

Eine Fluchtwelle aus der Ukraine können und wollen wir uns nicht vorstellen

Die unbekannte Unbekannte befindet sich östlich der EU-Außengrenzen, in den Weiten der Ukraine.
Die unbekannte Unbekannte befindet sich östlich der EU-Außengrenzen, in den Weiten der Ukraine.APA/AFP/SERGEI SUPINSKY
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Anders als die an den EU-Außengrenzen gestrandeten Migranten dürfen ukrainische Bürger ohne Visum in die Union einreisen. Ob sie von diesem Recht Gebrauch machen werden, hängt von den sicherheitspolitischen Showrunnern in Moskau und Washington ab.

Das Spannungsfeld zwischen bekannten Unbekannten und unbekannten Unbekannten ist bekanntlich groß. Greift man diese Begriffe des im Vorjahr von uns gegangenen ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld auf und legt sie auf den soeben veröffentlichten Flucht- und Migrationsausblick des Instituts ICMPD um, dann lässt sich die Zweiteilung relativ gut illustrieren.

Was wir beispielsweise im Kontext der Völkerwanderung nach Europa relativ gut erkennen können, ist die Tatsache, dass die verheerende Versorgungslage in Afghanistan, gepaart mit der Schreckensherrschaft der Taliban, eine neue Fluchtbewegung Richtung Westen auslösen wird. Was wir allerdings nicht wissen, ist die heuer zu erwartende Zahl der Neuankömmlinge.

Ebenso gut können wir prognostizieren, wo das Gros der afghanischen Flüchtlinge ihren Asylantrag stellen dürfte - nämlich vor allem dort, wo es schon eine Community gibt. Im Fall der EU handelt es sich primär um Deutschland, Schweden und Österreich. Was sich aus dieser grundsätzlichen Erkenntnis allerdings nicht ableiten lässt, ist eine Prognose hinsichtlich der tatsächlichen Ankunftszahlen. Wir wissen also, worauf wir uns in der Europäischen Union grosso modo einstellen müssen, ohne alle Details zu abschätzen zu können.

Und die unbekannte Unbekannte? Die allergrößte befindet sich östlich der EU-Außengrenzen, in den Weiten der Ukraine. Kommt es - was wir nicht wissen - zu einem groß angelegten Angriff Russlands auf seinen Nachbarn, dann lässt sich nicht einmal ansatzweise erahnen, ob die ukrainische Bevölkerung den Angreifern Widerstand leisten oder vor ihnen flüchten wird.

Doch selbst in dieser doppelten Unwägbarkeit stecken drei Körnchen Gewissheit. Erstens: Im Zuge des Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine genießen ukrainische Bürger Visafreiheit bei der Einreise in den Westen. Anders als im Fall der im polnisch-belarussischen Niemandsland gestrandeten Migranten können sie also nicht an der Grenze abgewiesen werden, sondern dürfen in die Union einreisen, um Asyl zu beantragen. Zweitens: Dass die EU als erste Reaktion auf einen russischen Einmarsch in die Ukraine die Visafreiheit für Ukrainer aufheben würde, wäre dermaßen pervers, dass sich diese Variante mit an die Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausschließen lässt.

Und drittens? Wie so oft sitzen Europas sicherheitspolitische Showrunner nicht in Brüssel, sondern in Moskau und Washington. Dort werden die Drehbücher für die kommenden Wochen, Monate und Jahre geschrieben. Und so lange wir Europäer nichts daran ändern wollen, werden wir die darin zugewiesenen Rollen zu spielen haben.

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