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Präsidentenwahl in Italien, Tag 2: Weiterhin kein Favorit in Sicht

Matteo Renzi gibt im italienischen Parlament seine Stimme ab.
Matteo Renzi gibt im italienischen Parlament seine Stimme ab.APA/AFP/POOL/YARA NARDI
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Auch in der zweiten Runde der Präsidentenwahl hat sich kein neuer Präsident herauskristallisiert. Das Wahlprozedere ist kompliziert und von Traditionen geprägt - und wegen Corona noch umständlicher.

In Rom ist auch bei der zweiten Runde der Präsidentenwahl noch kein neues Staatsoberhaupt gekürt worden. Bei der geheimen Wahl konnte am Dienstagabend in Rom kein Kandidat die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in dem Wahlgremium erreichen, dem 1009 Parlamentarier und Regionalvertreter angehören. Am Mittwoch ist eine neue Wahlrunde geplant. Bei den ersten drei Wahlgängen gilt die Zwei-Drittel-Mehrheit, erst danach reicht eine absolute Mehrheit für den Wahlsieg.

Weil sich die großen Regierungsparteien im Vorfeld entschlossen hatten, weiße Stimmzettel ohne Namen von Kandidaten abzugeben, erreichte niemand die für eine Wahl nötige Zweidrittelmehrheit unter den Abgeordneten, Senatoren und Regionalvertretern. Das wurde schon während der öffentlichen Auszählung der einzelnen Stimmkarten durch Roberto Fico, den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses, am Dienstagabend klar.

Kein Favorit in Sicht

Die Mitte-Rechts-Allianz, die stärkste Koalition im italienischen Parlament, stellte am Dienstagnachmittag drei Kandidaten für die Präsidentenwahl vor. Die Namen wurden vom Chef der rechten Regierungspartei Lega, Matteo Salvini, bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Rom angekündigt. Dabei handelt es sich um den Ex-Staatsanwalt Carlo Nordio, um den früheren Senatspräsidenten Marcello Pera und um Ex-Bildungsministerin Letizia Moratti.

"Wir legen drei Namen vor, in der Hoffnung, dass es über diese Persönlichkeiten von höchstem Profil zu einem Dialog mit dem Mitte-Links-Block kommt", sagte Salvini. Sein Ziel sei es, Brücken zu schlagen, um zur Wahl einer parteiübergreifenden Person zu gelangen. Enrico Letta von den Sozialdemokraten nannte die drei Politiker zunächst "Namen von sicherlich Qualität, die ohne Vorurteile bewerten werden".

Salvini stellt sich hinter Draghi, restlichen Parteien zurückhaltend

Salvini sprach sich gegen einen kolportierten Wechsel von Premier Mario Draghi in den Präsidentenpalast. Italien brauche politische Stabilität, Draghi solle weiter als Ministerpräsident amtieren, sagte Salvini. Sollte sich Draghi doch bei der Präsidentenwahl durchsetzen, müsste umgehend ein neuer Regierungschef gefunden werden, um zu verhindern, dass die drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone erneut in politische Unsicherheit stürzt - und das, während gleichzeitig die Zahl der Menschen steigt, die sich mit dem Coronavirus infizieren oder an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung sterben. Genau aus diesem Grund sind einige Parteien zurückhaltend mit Unterstützungsbekundungen für Draghi.

Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) führt gegenwärtig eine Regierung der nationalen Einheit. Er hat aber Interesse an der Nachfolge von Präsident Sergio Mattarella angemeldet. Neben Draghi gelten unter anderem Ex-Premier Giuliano Amato, Senats-Präsidentin Elisabetta Casellati und der ehemalige Präsident der Abgeordnetenkammer, Pier Ferdinando Casini, als potenzielle Anwärter. Seinen Verzicht hat dagegen am Wochenende Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi erklärt.

Mindestanforderung: 50 Jahre

Der neue Präsident muss laut Verfassung mindestens 50 Jahre alt sein. Es gibt keine offiziellen Kandidatinnen oder Kandidaten und die Gewählten müssen nicht in der Politik aktiv sein, um das höchste Staatsamt zu bekleiden. Drei der letzten vier Präsidenten waren politisch unabhängig. Eine Frau war noch nie Staatsoberhaupt in Italien.

Die Amtszeit ist auf sieben Jahre ausgelegt. Der einzige italienische Präsident, der bisher in der republikanischen Geschichte Italiens wiedergewählt wurde, war Giorgio Napolitano (2006-2015), der sich widerwillig bereit erklärt hatte, als Staatsoberhaupt im Amt zu bleiben, nachdem sich die Parlamentarier und Regionalvertreter 2013 auf keinen anderen Nachfolger einigen konnten. Zwei Jahre später trat er im Alter von 89 Jahren zurück. Nachfolger wurde der jetzige Amtsinhaber Mattarella.

Gemäß der italienischen Verfassung fungiert das Staatsoberhaupt als eine Art Schiedsrichter der Politik, eine Rolle, die besonders in Krisenzeiten wichtig ist. So ebnete Mattarella Anfang 2021 den Weg für die gegenwärtige Regierung der nationalen Einheit unter Mario Draghi, nachdem die Vorgängerregierung unter Premier Giuseppe Conte ihre Mehrheit im Parlament verloren hatte.

Sorge um Draghis Zukunft

Im Ausland wird die Präsidentenwahl mit Interesse beobachtet. Befürchtet werden negative Auswirkungen auf die politische Stabilität Italiens, sollte Premier Draghi zum Präsidenten gekürt werden. "Draghis Regierung hat gute Arbeit geleistet, um die Reformen und Investitionen umzusetzen, die im Rahmen des (Corona-)iederaufbauplans notwendig sind. Aber sein kaum verhohlener Wunsch, den Regierungssitz Palazzo Chigi für das Präsidentenamt zu verlassen, bringt ihn in Gefahr. Sollte er gewählt werden, wird es schwierig sein, einen Nachfolger zu finden, der die derzeitige ideologisch heterogene Koalition zusammenhält", analysierte das angesehene Wirtschaftsmagazin "The Economist" in seiner Online-Ausgabe.

1. Wer wählt Italiens Präsidenten, und wann gibt es ein Ergebnis?

Am 3. Februar läuft Mattarellas Amtszeit ab. Deshalb müssen die „Grandi Elettori“ (Wahlmänner) ab Montag im Parlament einen Nachfolger wählen. Den neuen Staatschef bestimmen 630 Abgeordnete aus dem Unterhaus, 321 Senatoren und 58 regionale Delegierte. Es könnte länger dauern, bis „weißer Rauch“ aufsteigt: Für die ersten drei Wahlgänge ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Danach genügt eine einfache Mehrheit. Einen Rekord verbuchte Giovanni Leone 1971 mit 23 Wahlgängen.

2. Wer könnte Italiens nächster Präsident werden?

Seit Wochen verhandeln und feilschen die Parteien, ein Konsens zeichnete sich bisher nicht ab. Die besten Chancen hat Premier Mario Draghi (74), er hat sowohl Rechte als auch Linke hinter sich, ist in der Bevölkerung beliebt, gilt als integer. Zudem verfügt der Ex-EZB-Chef über ein weites internationales Netzwerk und ist angesehen im Ausland. Er signalisierte zwar Bereitschaft zum Karrieresprung, äußerte sich aber nie eindeutig. Das Problem: Draghis Jobwechsel könnte zur Regierungskrise führen – und das mitten in der Pandemie. So wird nach Alternativen gesucht. Derzeit kursieren Namen wie Ex-Parlamentspräsident Pier Ferdinando Casini (66) oder Ex-Premier Giuliano Amato (83). Möglich wäre die Wahl der ersten Präsidentin Italiens: Gute Chancen hat Spitzen-Juristin Marta Cartabia (58), die parteiunabhängige Justizministerin war Vorsitzende des Verfassungsgerichtshofs. Die Parteien könnten aber auch eine Überraschung aus dem Hut zaubern – als Konsenskandidaten. Die Linke brachte gestern etwa den Historiker und Aktivisten Andrea Riccardi (72) ins Spiel, den Gründer der karitativ tätigen katholischen Gemeinschaft Sant' Egidio.

3. Warum ist die Wahl des italienischen Präsidenten so wichtig?

Das Staatsoberhaupt ist im krisenanfälligen Land wichtiger Stabilitätsanker. Er kann das Parlament auflösen, Gesetze ablehnen, muss nach Wahlen den Regierungschef einsetzen und der Nominierung von Ministern zustimmen. Mattarella oder sein Vorgänger, Giorgio Napolitano, haben bei jüngeren Krisen Roms mit Brüssel oder während des Quasi-Bankrotts des Landes 2011 eine gewichtige mäßigende Rolle gespielt. Draghis Ansehen und Management-Fähigkeiten würden ihn zum geeigneten Präsidenten des Dauerkrisen-Eurolandes machen, zumal der Staatschef sieben Jahre im Amt ist. Als Premier wäre er wohl weit kürzer an der Macht, die Legislaturperiode läuft 2023 ab.

4. Und warum blickt das Ausland dann derzeit wieder so nervös auf Italien?

Sollte Draghi Präsident werden, drohen vorgezogene Wahlen. Es ist kein Nachfolger in Sicht, der die immer zerstrittene Mega-Koalition aus allen wichtigen Parteien (außer den rechtsnationalen Fratelli d' Italia) zusammenhalten könnte. Unter Draghi hat die Regierung nicht nur Pandemie und Impfkampagne gemanagt, sondern auch Strukturreformen auf den Weg gebracht. Befürchtet wird, dass ein Abtritt den Reformeifer bremsen würde. Das kann sich die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft nicht leisten: nicht nur wegen der hohen Staatsverschuldung, sondern auch wegen der EU-Coronahilfsgelder, deren Auszahlung an Reformen gebunden ist. Eine Lösung wäre die Verlängerung Mattarellas: Der will aber in Pension gehen. Am Wochenende postete sein Sprecher demonstrativ Fotos gepackter Umzugskartons.

(basta)

(APA)

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